Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

708 Mebersicht über die politische Entwichelnns de#s Jahres 1909. 
dieselben Anschauungen entwickelt wie Giolitti und Tittoni. Da 
nur ein provisorisches Budget zustande gekommen war, mußten die 
Reformen auf das nächste Jahr verschoben werden. 
Die Römische Kurie legte im Kampfe gegen den Moder- 
nismus und die antiklerikale Gesetzgebung Frankreichs noch mehr 
Energie an den Tag als früher. Auch publizierte der Papst eine 
Bulle, die bei künftigen Papstwahlen das Exklufionsrecht der Fürsten 
und jede Beeinflussung durch weltliche Gewalten ausschließen soll. 
Die Schweiz setzte ihre Politik der Verstaatlichung der Eisen- 
bahnen erfolgreich fort. Besonders gelang ihr die Uebernahme der 
Gotthardbahn in eigenen Besitz und Betrieb, da die beiden anderen 
Subventionsmächte, Deutschland und Italien, gegen vertragsmäßige 
tarifarische Zuficherungen auf die Rückerstattung ihrer Bauunter- 
stützungsgelder verzichteten. Ebenso schloß sie mit Frankreich ein 
günstiges Abkommen über die Zufahrtlinien zum Simplontunnel. 
Nicht so glücklich war der Verlauf der Mehlzollstreitigkeiten mit 
dem Deutschen Reich. Die starke Einfuhr feinen Weizenmehls aus 
Deutschland erklärt sich nicht nur aus der Gewährung der verkäuf- 
lichen Einfuhrscheine, die wie eine Exportprämie wirken, sondern 
auch aus der billiger produzierenden Großmüllerei in Ludwigs- 
hafen und Mannheim, mit der die kleinen schweizerischen Mühlen 
nicht konkurrieren können. Die Bäcker und Konditoren der Schweiz 
wollen aber nicht den Müllern zuliebe auf den deutschen Mehl- 
import verzichten. Die Drohung mit dem Getreide- und Mehl- 
monopol hat deshalb auf die Verhandlungen mit Deutschland keinen 
Einfluß. Der Verbesserung der nationalen Bewaffnung wendet der 
Bundesrat die herkömmliche sorgfältige Beachtung zu. 
Belgien verlor am Schlusse des Jahres seinen König Leo- 
pold II. nach vierundvierzigjähriger Regierung. Seiner persönlichen 
Initiative verdankt das neutralisierte Land den Besitz des Kongo- 
Freistaats und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (mitr 
Befreiung der Brüder von bereits Dienenden). Allerdings machen 
England und die Vereinigten Staaten ihre Anerkennung der An- 
gliederung von der Abstellung ihrer Beschwerden über Benach- 
teiligung der Eingeborenen abhängig; dabei spielen kolonialpoli- 
tische Absichten englischer Kolonialschwärmer in Bezug auf die
	        
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