Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Vesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 18.) 71 
18. Februar. Die „Kölnische Zeitung“ veröffentlicht zu den 
Enthüllungen des „Matin" über die überwundenen Spannungen 
anläßlich der Marokkofrage „eine notwendige Berichtigung“ 
folgenden Inhalts: 
„Anknüpfend an das Glückwunschtelegramm, das der Kaiser an den 
Fürsten Radolin gerichtet hat, veröffentlicht der „Matin“ eine Unterredung 
mit einer ungenannten Persönlichkeit, worin gesagt wird, daß der Kaiser 
stets für eine Beilegung der Schwierigkeiten in Frankreich eingetreten sei. 
Namentlich im Jahre 1905 habe sich die Lage sehr ernst gestaltet, da die 
Diplomaten, die Umgebung des Kaisers, ja die gesamte deutsche Armee 
den Krieg gewünscht hätten. Es scheint uns notwendig, dieser durchaus 
unzutreffenden Darstellung entgegenzutreten. Es ist vollständig richtig, 
daß der Kaiser nicht nur während der marokkanischen Wirren, sondern 
auch schon vorher befriedigende Beziehungen zu Frankreich als ein er- 
strebenswertes Ziel der deutschen Politik betrachtet hat, aber es ist völlig 
unwahr, daß im Jahre 1905 deutsche Diplomaten, die Umgebung des 
Kaisers und die deutsche Armee den Krieg gegen Frankreich gewünscht 
hätten. Zu wiederholten Malen sah die Lage ja recht unerfreulich aus, 
doch die für die deutsche Politik wirklich maßgebenden Persönlichkeiten 
haben in keinem Augenblick den Krieg gegen Frankreich als etwas Wün- 
schenswertes betrachtet, sie waren im Gegenteil einig mit dem Kaiser in 
der Betreibung einer durchaus friedlichen Politik. Die deutsche Armee 
hat nicht die Gewohnheit, sich in die Politik einzumischen, und wenn viel- 
leicht junge Offiziere in begreiflicher jugendlicher Tatenlust zeitweise einen 
Krieg als eine Abwechselung vom einformigen Garnisonleben gewünscht 
haben mögen, so hatte das politisch nicht die geringste Bedeutung, wenn 
man aber in Bezug auf Krieg von einer Stimmung der deutschen Armee 
sprechen will, so war sie zu jeder Zeit durchaus ernst, und wir glauben 
sagen zu dürfen, daß alle höhern Offiziere gerade auf Kenntnis der mo- 
dernen Kriegsmittel hin die richtige Erkenntnis hatten von den Leiden, 
die ein Krieg, wie auch sein Ausgang sein möge, über die beteiligten 
Nationen bringen müßte. Wer die Stimmung der Armee als eine kriegs- 
und angriffslustige darstellt, der fälscht sie in frivoler Weise. Man darf 
ruhig sagen, daß, wenn der Kaiser bewußt und zielmäßig ein Friedens- 
kaiser gewesen ist, er hierin im Einvernehmen stand mit der ungeheuren 
Mehrheit des deutschen Volkes, die weder im allgemeinen noch aus Anlaß 
besonderer Zwischenfälle die Entscheidung von Streitfragen durch das 
Schwert gewünscht hat.“ 
18. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Bei 
der zweiten Beratung des Bergetats erwidert Handelsminister 
Delbrück auf die Reden des nationalliberalen Abgeordneten Macco 
über die Leistungen der Arbeiterversicherungen und die Kaliindustrie 
sowie auf die Klagen des Abgeordneten Schepp (frs. Vp.) über die 
Verschlechterung der Lage der technisch-industriellen Beamten: 
Herr Macco hat Ausführungen über unsere Sozialpolitik gemacht. 
Er hat zweifellos recht, daß wir mit einer gewissen Ungeniertheit ohne 
Rücksicht auf die Kosten die Sozialpolitik durchgeführt haben. Vielleicht 
ist es nicht unrichtig, wenn gelegentlich erinnert wird an das Wort des 
Fürsten Bismarck, man möge sich hüten, im Interesse der Arbeiter die 
Henne, die die goldenen Eier legt, zu schlachten. Gewiß muß man sich
	        
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