Bas Denische Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 19.) 75
soll —, es ist eine Frage der Landesgesetzgebung, und in die uns
bei diesem Anlaß einzumischen, liegt bei der Zweifelhaftigkeit der Frage,
inwieweit nicht doch die Landesgesetzgebung besteht — über die Auf-
fassungen darüber haben wir ja Erklärungen gehört in der württembergischen
Kammer —, kein Anlaß vor, und es liegt kein Anlaß vor, diesem Antrage
zuzustimmen.
Abg. Hoffmann (Sd.): Seitdem im Jahre 1904 der §2 des Ge-
setzes aufgehoben wurde, hatten wir in dem Jefuitenkrieg eine Art Waffen-
stillstand. Der Anstoß zu den neuen und heftigen Kämpfen kam bekanntlich
aus Bayern, wo im Jahre 1911 der Kultusminister v. Wehner einen ge-
heimen Jesuitenerlaß herausgab, wie gesagt werden muß, ohne jedes
Bedürfnis und ohne jeden vernünftigen Grund. Dieser Erlaß des Herrn
v. Wehner war zweifellos ein Uebergriff in die Sphäre der Reichsverwaltung,
eine Verletzung eines bestehenden Reichsgesetzes. Der Reichskanzler kon-
statierte das in seiner Erklärung vom 26. April 1912. Die politische Situa-
tion hat sich in den 40 Jahren gründlich geändert. Der Altkatholizismus
kam zu nichts trotz staatlicher Pflege, und der von vornherein ganz utopi-
stische Traum einer deutschnationalen Landeskirche ist gründlich ausgeträumt.
Die Autorität des unfehlbaren Papstes ist heute nicht nur anerkannt für
das religiöse Gebiet, sondern von einem deutschen Staatssekretär sogar für
das soziale Gebiet. (Hört! Hört! bei den Sd.) Ich meine also, in der
jetzigen politischen Situation liegt nicht der geringste Grund für die Aufrecht-
erhaltung des Jefuitengesetzes. Nun sagt man: aber die eigenen Schriften
der Jesuiten und besonders ihre Moraltheologien sprechen gegen sie. Es
ist nun gar kein Zweifel, daß man aus den Jezgfuitenschriften eine große
Menge von Stellen zusammenstellen kann, die sich mit den heute herrschenden
Rechts= und Moralbegriffen schlechterdings nicht vereinbaren lassen. Da
müssen alle Auslegungskünste des Zentrums scheitern. Uebrigens habe ich
mir ein paar der schönsten Stellen reserviert für den Fall, daß das Zentrum
uns Sozialdemokraten wieder einmal destruktive Tendenzen vorwerfen sollte.
Wer bedenkt, daß die Staatstheorien der Jesuiten Abstraktionen eines
im Mittelalter vorhanden gewesenen Zustandes sind, wer ferner bedenkt, daß
der Jesfuitenorden ein Teil der katholischen Kirche ist, die, wie jede Kirche,
ihre Lehren und Glaubenssätze auf Jahrhunderte hinaus konserviert, wer
weiter bedenkt, daß die Kirche ihre glänzende Herrscherstellung im Mittel-
alter nicht vergessen kann und darum Staatstheorien aufrechterhält, über
die die moderne Entwicklung längst zur Tagesordnung übergegangen ist, —
wer das alles bedenkt, versteht die Sätze des Syllabus, der Enzykliken und
der Moraltheologien der Jesuiten. Sie wurzeln in Verhältnissen und An-
schauungen des Mittelalters und müssen von uns modernen Menschen mit
Vorsicht und dem nötigen historischen Verständnis genossen werden. Wir
Sozialdemokraten glauben nicht an den Jesuitenteufel des Evangelischen
Bundes, aber ebensowenig an den Jesuitenengel des Zentrums. Nach unserer
Auffassung wird es auch heute bei der Tätigkeit der Jesfuiten ohne eine
tüchtige Portion geistigen Terrorismus nicht abgehen. Es wird gesagt, die
Jesuiten stören den religiösen Frieden. Nun meine ich, daß wir
diesen religiösen Frieden in Deutschland überhaupt noch niemals gehabt
haben, auch nicht in den 40 Jahren gehabt haben, seitdem die Jegfuiten
aus Deutschland vertrieben sind. Wir kennen doch alle die zwei Richtungen
in der evangelischen Kirche, die liberale und die orthodore, die Ketzergerichte
gegeneinander arrangieren und in ständigem nnchristlichen Frieden mit-
einander leben, und ich meine, wir kennen auch alle die Vorgänge in der
katholischen Kirche, wir kennen den jahrelangen Kampf zwischen der Berliner
und der Kölner Richtung, und wir wissen, daß die Formen dieses Kampfes