Herbert
Bismarck
632 HAGEN VON TRONJE
vorhanden ist, wie sie unser Allerhöchster Herr bisher zeigt. Möge ihn der
Gedanke stärken, daß die Bewährung dieser Tugenden gerade gegenüber
dem Fürsten Bismarck sich später sicherlich als ein Glück und ein
Segen für den ganzen Lauf seiner Regierung herausstellen wird! Der Reichs-
kanzler ist nicht nur für persönliche und selbst rein formale Liebenswürdig-
keiten empfänglich, sondern auch für den Appell an sein dynastisches Ge-
fühl. Er empfindet im innersten Kern als märkischer Vasall, und der König
ist ihm nicht ein abstrakter Vernunftsbegriff, sondern der Lehnsherr, den
der echte Germane mit besonderem Maßstabe mißt. Hagen von Tronje war
nicht sentimental, seine Herren vom Burgunderland aber waren ihm doch
ganz eigen ans Herz gewachsen. Herbert ist sehr verschieden, je nach seiner
von seinen Nerven sehr abhängigen momentanen Disposition. Für Auf-
merksamkeiten ist erempfänglicher, als man annehmen sollte bei einem vom
Glücke so verwöhnten Mann. Ruhige Behandlung wirkt kalmierend auf
ihn. Er ist zu klug, um mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, wenn er
sich davon überzeugt, daß die Wand fest und dauerhaft ist. Wer, wie wir
beide, Herbert liebt, muß manche seiner Fehler beklagen. Als den größten
betrachte ich seine outrierte Menschenverachtung. Schon deshalb ist er
kein großer Menschenkenner. Wenn die Menschen leider selten Engel sind,
so sind sie auch nicht alle Schufte. Ich bin vielen begegnet, die selbstlos gut
zu mir waren, ich selbst war es auch manchmal. Der kälteste Realismus in
der Politik, wo die Salus publica die Suprema lex sein soll, schließt nicht
aus, daß man seine eigenen Leute freundlich behandeln und ihre edleren
Instinkte entwickeln soll. Indem Herbert alle Menschen und insbesondere
alle seine Untergebenen a priori für Kanaillen hält und jedem schlechte
Motive unterschiebt, entmutigt und demoralisiert er gerade die Besseren.
Er gelangt so zu Mißtrauen, wo er vertrauen könnte, und traut manchem
Schwindler. Gern möchten wir Herbert weniger zynisch, ausgeglichener und
rücksichtsvoller sehen. Wieviel Gutes könnte er damit stiften, wieviele
Freunde sich machen. Aber auch mit seinen Schattenseiten ist Herbert,
so lange sein Vater lebt, der beste Staatssekretär. Das sage ich nicht nur
aus Gefühlsgründen. Meine persönlichen Empfindungen für Herbert
schließen zwar für mich einen Gegensatz zu ihm oder eine Rivalität mit
ihm völlig aus. Aber ich bin ein zu fanatischer Patriot, als daß nicht das
Wohl und der Ruhm von Kaiser und Reich für mich über jedem anderen
Gefühl und jeder anderen Rücksicht ständen. Auch vom Vernunftsstand-
punkt aus, reiflich und kühl erwogen, bin ich der Meinung, daß Herbert
große Vorzüge vor allen anderen Kandidaten für das Staatssekretariat hat.
Er ist ein tüchtiger Arbeiter. Er hat seinem Vater viel abgesehen. Sein
Name wiegt schwer. Einen Outsider zu nehmen, ist unendlich gewagt. Das
diplomatische Gewerbe ist wie das Erlernen des Whist: Jeder glaubt es zu