Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

Veutsches Kiic. (Januar 26.) 43 
Dieses Angebot erfuhr bei Sir Edward Grey die schroffste Ablehnung 
(Blaubuch Nr. 101). Goschen wurde beauftragt, dem Reichskanzler über die 
Zusicherungen betreffend Frankreich zu sagen: „it would be a disgrace for 
us to make this bargain with Germany at the expense of France. a 
disgrace from which the good name of this country would never recover“ 
les wäre eine Schmach für uns, diesen Schacher mit Deutschland auf Kosten 
Frankreichs zu machen, eine Schande, von der der gute Name Englands 
sich nie erholen könne). Auch daß England seine Verpflichtungen und 
Interessen bezüglich der belgischen Neutralität verschachere, sei gleichfalls. 
ausgeschlossen. 
Die Heftigkeit des Ausdruckes bei der Abweisung des deutschen An- 
gebots ist bezeichnend: Sir Edward Grey betrachtete sich als Bundes- 
genossen Frankreichs, der zur Untreue verleitet werden sollte. 
Aus der belgischen Neutralität aber war er entschlossen, den 
Ausgangspunkt zu machen, den er brauchte, um Kabinett und 
öffentliche Meinung in den Krieg zu führen. 
Nr. 113 des Blaubuches enthält das Telegramm aus Petersburg. be- 
betreffend die Anordnung der allgemeinen Mobilmachung der russischen 
Streitkräfte. 
Nr. 114 des Blaubuches enthält ein Telegramm Sir Edward Greys 
an die Botschafter in Berlin und Paris, lautend wie folgt: 
Foreign Office, July 31. 1914. 
1 still trust that situation is not 
irretrievable, but in view of pro- 
spect of mobilisation in Germany 
it becomes essential to His Ma- 
jesty's Government. in view of 
existing treaties, to ask whether 
French (German) Government is 
prepared to engage to respect neu- 
trality of Belgium so long as no 
other Power violates it. 
Foreign Office, 31. Juli 1914. 
Ich vertraue noch, daß die Lage 
nicht unwiederbringlich verzweifelt ist, 
aber bei der Aussicht auf die deutsche 
Mobilmachung wird es für die eng- 
lische Regierung angesichts bestehender 
Verträge notwendig zu fragen, ob die 
französische (deutsche) Regierung be- 
reit ist, sich zu verpflichten die Neu- 
tralität Belgiens zu achten, so lange 
keine andere Macht sie verletzt. 
Also Greys Antwort auf die russische Mobilmachung war nicht ein 
Schritt in Petersburg, sondern das Aufwerfen der belgischen Neutralitäts- 
frage in Berlin — die Anfrage in Paris war selbstverständlich Komödie —, 
um den Ausgangspunkt für Englands Eingreifen zu gewinnen. 
Es war in der Tat hohe Zeit, daß etwas nach dieser Richtung ge- 
schah; denn der französische Botschafter, der auf die verhängnisvolle Er- 
ôöffnung Greys vom 29. Juli hin sofort gehandelt und Frankreich unwider- 
ruflich engagiert hatte, der am 30. Juli den Wechsel vom November 1912 
bei Sir Edward präsentiert hatte und dessen Honorierung verlangte, wurde 
ungeduldig, als Sir Edward, gezwungen durch einen Kabinettsbeschluß, 
Ausflüchte machte. Grey telegraphierte am 31. Juli an den englischen Bot- 
schafter in Paris (Blaubuch Nr. 114), daß Paul Cambon ein Telegramm 
Jules Cambons aus Berlin — offensichtlich bestellte Arbeit — vorgezeigt 
habe, nach welchem Deutschland durch die Ungewißheit über die Inter- 
vention Englands ermutigt worden sei. Sir Edward verwahrte sich und 
sagte Paul Cambon, er habe an diesem selben Vormittag gegenüber dem 
deutschen Botschafter definitiv jede Neutralitätserklärung verweigert und 
sogar erklärt, daß bei einer Verwicklung Deutschlands und Frankreichs in 
den Krieg England hineingezogen werde. Dies solle aber nicht ein Engage- 
ment gegenüber Frankreich bedeuten. — Er sagte Paul Cambon weiter, 
das Kabinett sei zu dem Schluß gekommen, es könne im gegenwärtigen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.