Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

44 Beuisches Reich. (Januar 26.) 
Augenblick keine Verpflichtung übernehmen. „Up to the present moment, 
we did not feel. and public opinion did not feel, that any treaties or 
obligations of this country were involved.“ (Bis zu diesem Augenblick 
fühlten wir nicht und fühlte die öffentliche Meinung nicht, daß irgendwelche 
Verträge oder Verpflichtungen Englands im Spiel seien.) Aber, fügte er 
verheißungsvoll hinzu, weitere Entwicklungen könnten die Lage ändern und 
Regierung und Parlament von der Berechtigung einer Intervention über- 
zeugen. Die Neutralität Belgiens könnte „I would not say a decisive, 
but an important factor“" (ich möchte nicht sagen ein entscheidender, aber 
ein wichtiger Faktor) bei der Bestimmung der Haltung Englands sein. 
Wie wenig Paul Cambon mit diesem Bescheid zufrieden war, ergibt 
sich aus seinem eigenen Bericht über die Unterhaltung (Gelbbuch Nr. 110). 
Er fragte Grey, ob England mit seiner Intervention etwa einen deutschen 
Einfall in Frankreich abwarten wollte. „J'ai insisté sur le fait que les 
mesures déjà adoptées sur notre frontière par I’Allemagne révélaient 
des intentions d’agression prochaine, et due si Ton voulait éviter de 
voir se renouveler I’erreur de I’Europe en 1870, il Cconvenait que I’Ang- 
leterre envisagest des maintenant les conditions dans lesquelles elle 
nous donnerait le concours sur lequel la France comptait.“ (Ich 
insistierte auf der Tatsache, daß die von Deutschland an unserer Grenze 
bereits ergriffenen Maßnahmen die Absicht eines nahen Angriffs enthüllten, 
und daß, wenn der Irrtum Europas von 1870 vermieden werden sollte, 
England sofort die Bedingungen ins Auge fassen müsse, unter denen es 
uns die Hilfe gewähren würde, auf die Frankreich zähle.) Aber Grey 
blieb bei dem Kabinettsbeschluß. — Dagegen spendete Sir Artur Nicolson, 
dem Cambon beim Verlassen des Kabinetts des Staatssekretärs begegnete, 
einigen Trost: Der Ministerrat werde sich am nächsten Tag wieder ver- 
sammeln, „et. confidentiellement, il m’'’a fait entendre due le Secrétaire 
d'’Etat aux Affaires Etrangeres ne manquerait pas de reprendre la dis- 
cussion“ (und vertraulich hat er mir zu verstehen gegeben, daß der Staats- 
sekretär des Auswärtigen nicht verfehlen werde, die Diskussion wieder auf- 
zunehmen). 
Man hat hier kaum nötig zwischen den Zeilen zu lesen. 
Bis zu dem von Nicolson für den nächsten Tag in Aussicht gestellten 
Ministerrat waren Antworten aus Paris und Berlin auf die Anfrage Greys 
wegen der Neutralität Belgiens eingelaufen. Die französische Regierung 
hatte selbstverständlich mit Emphase die Achtung der belgischen Neutralität 
zugesagt. In Berlin dagegen hatte der Staatssekretär des Auswärtigen 
dem englischen Botschafter erklärt, er müsse erst den Kaiser und Kanzler 
befragen. „I gathered from what he said that he thought any reply 
they might give could not but disclose a certain amount of their plan 
of campaign in the event of war ensuing, and he was therefore very 
doubtfoul whether they would return any answer at all.“ (Ich entnahm 
aus dem, was er sagte, daß er meint, jede Antwort, die sie (Kaiser und 
Kanzler) geben könnten, müsse notwendig einen Teil des Feldzugsplans 
für den Fall eines entstehenden Krieges enthüllen, und es war deshalb sehr 
zweifelhaft, ob sie überhaupt eine Antwort geben würden). (Blaubuch 
Nr. 122.) Dieser Bericht Goschens ist am 31. Juli in Berlin spät abends 
abgegangen und laut Vermerk im englischen Blaubuch am 1. August im 
Foreign Office eingegangen. 
Das englische Echo folgte prompt. Bereits die nächste Nummer des 
Blaubuchs (123) enthält ein Telegramm Greys an Goschen vom 1. August, 
laut welchem Sir Edward dem Fürsten Lichnowsky sagte, die Antwort der 
deutschen Regierung betreffend die belgische Neutralität sei für ihn ein
	        
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