Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

VBetsches Reich. (März 10.) 117 
siegen. Wenn unsere Feinde glauben, uns auf diese Weise durch An- 
drohung von Repressalien, die allem Völkerrechtsgesetz Hohn sprechen, mürbe 
zu machen, so haben sie sich verrechnet. Sie haben ihre Rechnung nicht 
eingestellt auf die wirtschaftliche Kraft des deutschen Volkes, sie haben in 
ihre Rechnung nicht eingestellt den Umstand, daß wir, wenn auch kleine 
Einschränkungen in den Lebensgewohnheiten des deutschen Volkes notwendig 
werden, genügend Lebensmittel haben, um das Volk zu ernähren. Und 
was die finanzielle Kraft des Deutschen Reiches anlangt, so brauche ich 
nur daran zu erinnern, daß die zweite große Kriegsanleihe von Milliarden 
begeisterte Aufnahme in ganz Deutschland findet. Unsere Feinde haben 
in ihre Rechnung nicht eingestellt das Organisationstalent des deutschen 
Volkes, das selbst in unentwirrbar erscheinenden Verhältnissen Ordnung zu 
schaffen imstande ist. Sie haben nicht eingestellt in ihre Rechnung die 
Stärke der Landwirtschaft, die Fähigkeit und Tatkraft unseres Handels und 
unserer Industrie, die in der Lage gewesen sind, neue Hilfsquellen, neue 
Wege zu finden. Vor allem haben sie nicht in ihre Rechnung eingestellt 
die Einmütigkeit der Nation und den festen Willen zum Siege, die in 
jedem einzelnen, vom ersten bis zum letzten unausrottbar vorhanden ist. 
Der Präsident macht eine geschäftliche Mitteilung und verliest unter 
Beifall des Hauses den Telegrammwechsel mit den österreichischen, ungarischen 
und osmanischen Parlamenten, gedenkt des verstorbenen Abg. Semmler (ul.) 
und teilt das Schreiben des Staatssekretärs mit, durch welches das Mandat 
des Abg. Weill nach Verlust seiner Reichsangehörigkeit erloschen ist. Mit 
der Prüfung des Mandats des Abg. Wetterlé wird sich die Geschäfts- 
ordnungskommission beschäftigen. Die verstärkte Budgetkommission soll aus 
36 Mitgliedern bestehen. 
Staatssekretär des Reichsschatzamts Dr. Helfferich begrüßt 
bei Einbringung des Reichsetats den Reichstag, den er, wie das ganze 
Volk, durchdrungen weiß von dem einen Gedanken: „Durchhalten und 
Zusammenhalten“, alle Kräfte einsetzen und jedes Opfer bringen bis zum 
endgültigen und vollgültigen Siege. Der Redner gedenkt sodann in warmen 
Worten seines Amtsvorgängers, des Reichsschatzsekretärs Kühn. 
Zum Gegenstand der Tagesordnung übergehend, stellt der Reichsschatz- 
sekretär in Aussicht, nicht nur eine Begründung zum Etat zu geben, son- 
dern einen Ueberblick über die gesamte Lage auf dem finanziellen Kriegs- 
schauplatz. Der Haushaltungsentwurf ist das erste Kriegsbudget des 
Reiches und schließt ab mit mehr als 13 Milliarden Mark, einer vier- 
mal so großen Summe wie der umfangreichste bisherige Voranschlag. 
Hinsichtlich der Reichsschuld ist festzustellen, daß die planmäßige Til- 
gung, für die 68 Millionen Mark eingestellt sind, aufrechterhalten wird, 
abgesehen von der Kriegsschuld, über deren Tilgung später Bestimmung 
zu treffen sein wird. Dagegen ist der Zinsendienst für die Kriegsschuld in 
voller Höhe in den ordentlichen Etat eingestellt. Wie sich die Verhältnisse 
bei der Reichsschuld später gestalten werden, hängt vom Kriegsausgang 
und den Friedensbedingungen ab. Wir haben nicht darauf verzichten können 
und denken nicht daran, darauf zu verzichten, daß unsere Feinde, ab- 
gesehen von allem anderen, uns für den materiellen Schaden einstehen 
müssen, den sie mit diesem frevelhaft angezettelten Krieg angerichtet haben. 
Ueber die Gestaltung des Rechnungsabschlusses für das laufende 
Finanzjahr teilte der Reichsschatzsekretär mit, daß sich voraussichtlich 
ein Ueberschuß von 38 Millionen Mark ergeben werde. Im einzelnen 
haben die Einnahmen einen Minderertrag von 533 Millionen erbracht. 
Bei den fortdauernden Ausgaben haben sich Ersparnisse in Höhe von 
561 Millionen Mark ergeben. Bei den einmaligen Ausgaben betragen
	        
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