Deutsches Reich.
3. Jan. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ schreibt unter dem Titel „Mit-
teilungen des serbischen Gesandten in Petersburg“:
Die „Nowoje Wremja“ vom 10./23. v. Mts. veröffentlichte eine Unter-
haltung zwischen ihrem Vertreter und dem serbischen Gesandten Spalaj-
kowitsch in Petersburg, der wir folgendes entnehmen: „Der Gesandte er-
innerte mich an den 11./24 Juli, als für alle klar wurde, daß der einzige
Ausweg aus der schweren Lage der Krieg sein mußte. Ich hatte, so sagte
der Gesandte, eine ausführliche Unterhaltung mit dem Minister des Aeußern,
Herrn Ssasonow, der große Entschlossenheit an den Tag legte und mir in
kategorischer Form erklärte, daß Rußland in keinem Falle eine aggressive
Haltung Oesterreichs gegen Serbien zulassen könne. Der Minister teilte mit,
daß er Gelegenheit genommen habe, aus diesem Anlaß in voller Offenheit
mit dem deutschen Botschafter, Grafen Pourtalös, zu sprechen. Der Leiter
des russischen diplomatischen Ressorts erklärte dem Vertreter Deutschlands,
daß ein Ueberfall auf Serbien das größte Lebensinteresse Rußlands be-
rühre und deshalb die kaiserliche Regierung gezwungen sein werde, die-
jenigen Maßregeln zu ergreifen, die sie im gegebenen Momente für not-
wendig befinden werde."“
Diese Erklärung des Herrn Spalajkowitsch ist hochinteressant. Wie
das deutsche Weißbuch (Anlage 4) feststellt, hat Herr Ssasonow dem Grafen
Pourtales nur erklärt, Rußland könne unmöglich zulassen, daß die serbisch-
österreichischen Differenzen zwischen den Beteiligten allein ausgetragen werden.
Wir kannten bisher nicht die Form, in der Herr Ssasonow den Inhalt
dieses Gesprächs an den serbischen Gesandten weitergegeben hat. Aus der
Beröffentlichung der „Nowoje Wremja“ erfahren wir nun zum erstenmal,
daß Herr Ssasonow dies in einer Weise getan hat, die von den Erklärungen
erheblich abweicht, welche er dem deutschen Botschafter gegenüber gegeben
hatte, und die eine offene Kriegsdrohung Rußlands an Deutschland und
seinen Verbündeten für den Fall enthielten, daß Oesterreich-Ungarn es wagen
sollte, sich von Serbien ohne die russische Sanktion Genugtuung zu ver-
schaffen. Nachdem der serbischen Regierung durch die Erklärung des Herrn
Ssasonow der Rücken gestärkt war, ist es allerdings nicht verwunderlich,
daß sie im Vertrauen auf die ihr zugesicherte russische Waffenhilfe das
österreichisch--ungarische Ultimatum ablehnte und es auf einen Krieg an-
kommen ließ. Damit ist jetzt auch von amtlicher Seite durch einen Anhänger
des Dreiverbandes klargestellt, daß es Rußland von Beginn des Krieges
an nicht auf eine Beilegung, sondern auf die Verschärfung des Konfliktes
angekommen ist.
4. Jan. Berichtigung des französischen Gelbbuches.
Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt:
Es erfordert Zeit, das umfangreiche französische Gelbbuch durchzu-
studieren, nimmt man sich aber die Mühe, so macht man immer über-
raschendere Entdeckungen. Man sieht, wie das Werk zustande gekommen
Europäischer Geschichtskalender. LVI. 1