Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Erste Hälfte. (56a)

680 Die ülerreichisch-ungarische Monarchie. (Oktober 3.) 
Zu diesem Zwecke sei insbesondere eine Verständigung mit dem 
Deutschen Reiche über die wirtschafts- und handelspolitischen 
Zukunftspläne anzubahnen. Als deren Ziel sei eine wirtschaftliche Bundes- 
genossenschaft mit dem Deutschen Reiche anzustreben, die das politische und 
militärische Bündnis mit Deutschland ergänzen und bereits beim Friedens- 
schluß sowie auch späterhin das Wirtschaftsleben der verbündeten Staaten 
durch gemeinsames planmäßiges Vorgehen sichern und fördern soll. Mit 
Rücksicht auf den innigen Zusammenhang, der zwischen der österreichischen 
Außenhandelspolitik und dem österreichischen Vertragsverhältnis zu Ungarn 
besteht, werde den zu erwartenden großen Veränderungen aus dem Gebiete 
des ersteren auch bei der Vorbereitung eines künftigen Ausgleiches mit Ungarn. 
und zwar sowohl hinsichtlich seines Inhaltes, als auch seiner Dauer vollauf 
Rechnung zu tragen sein. 
3. Okt. Amtliche Zurückweisung von Behauptungen des italie- 
nischen Botschafters in Paris, Tittoni, über die Vorgänge bei der 
Annerion von Bosnien und der Herzegowina. 
Amtlich wird erklärt: In einer Unterredung mit einem Redakteur der 
„Tribuna“ unternimmt der italienische Botschafter in Paris, Tittoni, den 
Versuch, gegenüber dem Dementi des k. und k. Telegr. Korr.-Bricktz seine 
Behauptungen aufrechtzuerhalten, wonach er es gewesen sei, der anläßlich 
der Annexion von Bosnien und der Herzegowina durch die Monarchie 
den Verzicht Oesterreich--Ungarns auf das Garnisonsrecht im Sandschak 
Novibasar, sowie auf die die Sonveränitätsrechte Montenegros beschränken- 
den Bestimmungen des Artikels 29 des Berliner Vertrages erreicht habe. 
Erstere Behauptung trachtet Tittoni durch den Hinweis darauf glaub= 
haft zu machen, daß er dieselbe bereits in seiner Parlamentsrede vom 
4. Dezember 1908 vorgebracht habe, ohne daß von seiten des Grafen 
NAebrenthal ein Dementi erfolgt sei. Abgesehen davon, daß die falsche An- 
gabe nicht dadurch richtig wird, daß man nachweist, man habe sic schon 
in einem früheren Zeitpunkt aufgestell, zitiert Tittoni einen Toten, näm- 
lich den Grafen Aehrenthal, dessen damaliges Schweigen er als Zustimmung 
deuten möchte. Er übersieht aber hierbei, daß Mitarbeiter des Grafen 
Aehrenthal noch am Leben sind, und daß sie sowie das Archiv des Ball- 
hausplatzes klar bezeugen konnen, daß der Verzicht Oesterreich-Ungarns 
auf das Garnisonsrecht im Sandschak Novibasar vor der Annexion Bos- 
nieus und der Herzegowina und zwar schon in einem Zeitpunkte beschloisen 
worden war, wo Tittoni von dem Annexionsplane noch gar keine Kenntnis 
hatte. In seiner Rede vom 4. Dezember 1908 hat Tittoni sich zwar auch 
nicht ausdrücklich das Verdienst an jenem Verzichte der Monarchie zu- 
geschrieben, wohl aber die Vorteile des letzteren für Italien in einer so 
selbstgefälligen Weise herausgestrichen, daß die Kammer immerhin annehmen 
konnte, dieser Erfolg sei auf den Redner zurückzuführen. Wenn das Wiener 
Kabinett damals diesen, sowie anderen tendenziösen Darstellungen des 
Ministers des Aeußern nicht mit einem Dementi entgegentrat, so war hier- 
für ausschließlich die Erwägung maßgebend, daß Tittoni, welcher sich zu 
jener Zeit noch in der Rolle des überzeugten Dreibundfreundes gefiel, 
ernsten Angriffen im Parlamente ausgesetzt war, und man die Schwierig- 
keiten seiner Stellung nicht vermehren wollte. Gegenüber der Feststellung 
des k. und k. Telegr.-Korr.-Bureaus, daß die Initiative zur Modißfkation 
des Artikels 29 des Berliner Vertrages nicht von Italien, sondern von 
Rußland ausgegangen war, zitiert Tittoni eine Anzahl von Stellen aus 
dem österreichisch-ungarischen Rotbuche über die Annexionskrisis, wobei er 
bei einzelnen dieser Dokumente die ihm zur Erhärtung seiner These un-
	        
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