688 Die österreichisch-ungarische Monarchie. (November 15.—25.)
ein Teil der Boote herabgelassen und besetzt, und zwar hauptsächlich von
Personen der Schiffsbemannung, die mit den ersten Booten eiligst weit
abruderte. Ein großer Teil der Boote, die wahrscheinlich zur Rettung aller
genügt hätten, blieb unbesetzt. Nach 50 Minuten mußte das U. Boot vor
einem sich rasch nähernden Fahrzeug wegtauchen und torpedierte den Dampfer,
der erst nach weiteren 45 Minuten sank. Wenn dabei viele Passagiere das
Leben verloren, so liegt die Schuld nur an der Besatzung, weil der Dampfer
statt auf den Warnungsschuß zu stoppen, floh und dadurch das L-Boot
zum Schießen zwang, und weil dann die Besatzung nur an die eigene
und nicht an die Rettung der Passagiere dachte, wozu reichlich Zeit
und Mittel vorhanden waren. Daß das U-Boot auf die gefüllten Boote
und die im Wasser Schwimmenden geschossen hätte, ist eine tendenziöse
Erfindung, schon weil für das U-Boot die Munition viel zu kostbar ist.
Nachdem der Dampfer stillstand, wurde natürlich kein Schuß mehr ab-
gefeuert. Flottenkommando.
15. Nov. Eine Generalversammlung des Bundes öster-
reichischer Industrieller in Wien nimmt eine Entschließung
an, in der es heißt:
Dringend geboten erscheint die sofortige Fühlungnahme mit dem
Deutschen Reich über die Frage der künftigen Gestaltung der handelspoli-
tischen Beziehungen der Monarchie zu Deutschland. Die österreichische In-
dustrie steht hierbei auf dem Standpunkt, daß ein inniges Wirtschaftsbündnis
zwischen den beiden verbündeten Reichen unter Bedachtnahme auf unsere
besonderen volkswirtschaftlichen Interessen anzustreben wäre, durch das die
Gemeinsamkeit der Handelspolitik vertragsmäßig festgelegt wird. Hierbei wäre
wünschenswert, daß die Neuregelung unseres handelspolitischen Verhältnisses
zum Deutschen Reiche derart erfolgt, daß eine Angliederung anderer Staaten
an den zu schließenden Wirtschaftsbund der Zentralmächte vorgesehen und
somit die Grundlage für den mitteleuropäischen Wirtschaftsblock festgelegt wäre.
19. Nov. (Ungarn.) Das Zeichnungsergebnis der dritten
Kriegsanleihe beträgt zwei Milliarden und übersteigt damit um
600 Millionen das Ergebnis der zweiten Kriegsanleihe.
25. Nov. Das offiziöse „Fremdenblatt“ erwidert auf die Rede,
die der italienische Minister Orlando in Palermo hielt, mit einem
längeren Artikel, in dem es u. a. heißt:
Wir in Oesterreich-Ungarn haben nie gewußt, daß wir die natürlichen
Feinde Italiens sind. Bei uns sind den Leuten, die auf italienische Könige
Attentate verübten, keine Gedenktage und keine Denkmäler gewidmet worden,
sondern wir haben sie als Mörder verachtet. Und bei uns hat es keinen
Menschen gegeben. der geheime Gesellschaften in Italien unterstützt hätte,
um gegen das Königreich zu wühlen mit der Absicht, ihm Provinzen
wegzunehmen. Wenn uns aber Italien trotzdem als seinen natürlichen
Feind betrachtet hat, wie soll man dann die italienischen Regierungen be-
urteilen, die ein Bündnis mit uns geschlossen und immer wieder erneuert
haben, ein enges politisches Bündnis mit intimen militärischen und marine-
militärischen Abmachungen! Das wäre ja die abscheulichste Hinterlist ge-
wesen. Man kennt den Ausspruch des Botschafters Nigra, daß Oesterreich=
Ungarn und Italien nur entweder Feinde oder Verbündete sein können,
daß aber Italien beides zugleich sein könne, ist ihm nie in den Sinn ge-
kommen.