Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Ersßbritannien. (November 8.) 859 
verstopft sind. Man sagt, daß wir durch die Erörterung dieser Dinge den 
Feind ermutigen, aber der Feind weiß über unsere Angelegenheiten erheb- 
lich besser Bescheid als wir selbst. Was ihn ermutigt, ist unsere Unfähigkeit 
und Berschwendung. Der Redner kritisiert die Kriegsleitung an den Bei- 
spielen des Unterganges des Geschwaders des Admirals Craddock und den 
Unternehmungen in Antwerpen und an den Dardanellen und fragt: Wie 
konn die Regierung Vertrauen erwarten, die solche Fehler begeht und dann 
den Vorhang zuzieht, so daß wir eine Wiederholung der Fehler nicht ver- 
hindern können? Diese Fehler, wie auch der Munitionsmangel sind keine 
gewöhnlichen Wechselfälle des Krieges, sondern deuten darauf hin, daß 
irgendwo wirkliche Unfähigkeit herrscht; aber wir erfahren nicht wo. Der 
Jiedner bedauert die Bildung des Koalitionskabinetts; sie habe nur die 
parlamentarische, nicht die nationale Lage erleichtert und England des 
Systems der zwei Parteien und der verantwortlichen Kritik durch die 
Ooposition beraubt. Redner fährt fort: Wenn wir die Vergangenheit nicht 
vergessen können, so brauchen wir Versicherungen bezüglich der Zukunft. 
Wir stehen vor ernsten Schwierigkeiten auf dem Balkan. Ein neuer Wechsel 
hat durch Kitcheners zeitweilige Abwesenheit, die hoffentlich kurz sein wird, 
stattgefunden. Er frage, ob für die Truppen in Mesopotamien, Ostafrika 
und Aegypten entsprechende Maßnahmen getroffen worden seien. Die Lage, 
so schließt er, ist in der ganzen Geschichte ohne Beispiel. Jede große Nation 
glaubt, daß der Krieg ihr aufgezwungen wurde. Alle glauben, daß sie im 
Rechte sind, und nur durchhalten müssen, um zu siegen. Die Verluste an 
Menschen, die bereits auf 15 Millionen Tote und Beschädigte geschätzt 
werden, und die Kriegsschulden in Höhe von vielen tausend Millionen 
werden die gesamte Zivilisation verändern. Wenn der Krieg endlos 
sortgeht, so werden Revolutionen und Anarchie folgen; große 
Teile des Kontinents werden eine Wildnis sein mit einer Be- 
völkerung von Greisen, Frauen und Kindern. Die Menschen 
müßten seltsam konstruiert sein, die nicht jede ehrenvolle Ge- 
legenheit ergreifen würden, um einen Aufreibungskrieg zu 
verhindern, der das schrecklichste Unglück wäre, das die Mensch- 
heit treffen könnte. 
Auch Lord Milner beginnt mit einer Kritik der Zenfur, namentlich 
der Verstümmelung der deutschen Funkenberichte. Die Zenfur könne doch nicht 
verhindern, daß diese neutrale Länder erreichen. Die Zenfur habe die 
deutsche Meldung unterdrückt, daß die Bemannung eines deut- 
schen Unterseebootes von britischen Matrosen ermordet wor- 
den sei. Diese Unterdrückung wurde vielfach als Eingeständnis der Schuld 
angesehen. Dazu kommt die beständige Frreführung des Publikums durch 
optimistisch zurechtgemachte RKriegsberichte, wie über die Schlacht bei Neuve 
Chapelle am 25. September. Milner kritisierte sodann die Balkanpolitik 
und sagt: Ich weiß nicht, weshalb die griechische Krise uns überraschte. 
Sie überraschte uns nicht nur, sondern sie warf uns völlig zu Boden, und 
wir verharrten in dieser Lage, bis Joffre herüberkam, um uns zu helfen, 
einen Entschluß zu fassen. Milner kritisiert die vielbesprochene Erklärung 
Greys Ende September, die allgemein als unbedingtes Hilfeversprechen 
an Serbien aufgefaßt worden sei. Künftig werden die Nationen unsere 
Erklärungen, besonders unsere Versprechungen und Verpflichtungen zur 
Unterstützung sehr genau prüfen; sie werden sie nicht zum Nennwerte 
nehmen, sondern von allen Seiten betrachten und nachsehen, wo die Falle 
steck. Man muß daher auch die letzten Versicherungen Asquiths sehr ge- 
nau prüfen. Er sagte: „Wir können nicht zulassen, daß Serbien eine Beute 
der Zentralmächte und Bulgariens wird.“ Aber heute ist's ihre Beute.
	        
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