Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

932 Eraukreiq. (Oltober 14. 15.) 
einigen Ausführungen und schließt, indem er einen Antrag einbringt, der 
verlangt, daß die Kammer eine Geheimsitzung abhalte. Dieser Antrag wird 
mit 303 gegen 190 Stimmen abgelehnt. 
Die Freunde der Regierung bringen darauf einen Tagesordnungs- 
antrag ein, der lautet: Die Kammer vertraut auf die Regierung und geht 
unter Billigung der von ihr abgegebenen Erklärungen zur Tagesordnung 
über. Mehrere Abgeordnete ergreifen zu dieser Tagesordnung das Wort, 
um ihre Abstimmung zu motivieren. Der nationalistische Abgeordnete 
Pugliesi-Conti schleudert gegen die Sozialisten Angriffe, die die Sozia- 
listen erwidern, indem sie sagen, daß sich der Redner von der Front 
nach dem Parlament geflüchtet habe. Pugliesi-Conti seinerseits wirft meh- 
reren Sozialisten vor, daß sie selbst Drückeberger seien. Der Präsident 
Deschanel bemüht sich vergeblich, die Ruhe wiederherzustellen und mufß schließ- 
lich die Sitzung suspendieren. 
Nach Wiederaufnahme der Sitzung wird die Zensur über Pugliesi- 
Conti verhängt. Der Nationalist Oberst Driant, der Schwiegersohn Bou- 
langers, benutzt die Gelegenheit, im Namen derer, die an der Front 
kämpfen, zur Einigkeit zu ermahnen. Er sagt, er habe besondere Sympa- 
thien für Delcassé, weil dieser vor einem Jahrzehnt durch den Willen 
des deutschen Kaisers von seinem Posten habe weichen müssen. Der Abg. 
Etienne, der zur Zeit des ebenerwähnten Rücktritts Delcassés Minister 
in dem gleichen Kabinett war, erklärt, Delcass habe damals aus eigenem 
Antrieb seinen Abschied genommen. 
Nachdem noch mehrere Abgeordnete ihre Abstimmung begründet hatten, 
läßt der Präsident über das vorgelegte Vertrauensvotum abstimmen, 
das mit 372 gegen 9 Stimmen angenommen wird. Eine größere An- 
zahl von Abgeordneten enthalten sich der Abstimmung. 
14. Okt. Ein Protest des Syndikats der Presse gegen die 
Beschlagnahme verschiedener Zeitungen führt aus, binnen vierzehn 
Tagen seien fünf Zeitungen beschlagnahmt worden. 
15. Okt. (Senat.) Ministerpräsident Viviani wiederholt seine 
in der Kammer am 12. Oktober abgegebene Erklärung. 
Er fügt hinzu, er sei ermächtigt, zu sagen, daß die französische Re- 
gierung zu dem Glauben berechtigt sei, daß Italien sich von der gemein- 
samen Aktion nicht entfernt halten werde. Er werde mit den zuständigen 
Ministern vor dem Senatsausschusse für Auswärtiges weitere Aufklärungen 
geben, aber die Regierung sei genötigt, das strengste Stillschweigen über 
die im Gange befindlichen diplomatischen Unterhandlungen zu wahren. 
Der Senat nimmt sodann den von der Kammer bewilligten Gesetz- 
entwurf betreffend die Solderhöhung der Unteroffiziere und Soldaten 
um 20 Centimes täglich an. Ferner wurde der Gesetzentwurf angenommen, 
nach welchem in Senegal die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wird. 
Weiter erörterte der Senat den Antrag bezüglich der Anmeldepflicht 
für Besitzungen und Güter von Untertanen feindlicher Mächte in Frankreich. 
Der Senator Gaudin-de-Villaine führt aus, daß in Deutschland 
sehr scharfe Maßnahmen bezüglich der beschlagnahmten Güter ergriffen seien. 
Das beschlagnahmte Geld werde auf die Kriegsanleihen eingezahlt. Villaine 
fordert Gegenmaßregeln. Briand führt aus, wenn man Maßregeln er- 
greifen wolle, wie sie Gaudin vorschlage, solle man zuvor bedenken, daß 
große franzöfische Interessen in den Händen des Feindes seien, so daß man 
Vergeltungsmaßnahmen befürchten müsse. Der Zweck der Beschlagnahmungen 
sei, die beschlagnahmten Güter unversehrt zu erhalten. Alle Maßnahmen,
	        
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