Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

940 Frankreich. (Dezember 1.) 
In seiner Begründung erklärt Ribot, daß die finanzielle Lage Frank. 
reichs keineswegs beunruhigend sei, da es Frankreich gelungen sei, während 
der 16 Kriegsmonate alle Ausgaben, so erheblich sie auch gewesen sein 
mögen, zu decken, ohne die Kredite der Banque de France anzutasten und 
den Steuerzahlern neue Lasten aufzuerlegen. Ribot fährt fort: Zum ersten 
Male haben wir Einzahlungen auf eine Rentenanleihe eröffnet, die die 
Mittel für die nächsten Monate sichern wird. 
1. Dez. (Kammer.) Das Gesetz betr. Einberufung der Acht- 
zehnjährigen wird angenommen. 
Die Abg. Jobert und Turmel beantragen bei Beginn der Sitzung, 
die Beschlußfassung auszusetzen. Eine Parlamentskommission von 44 Ab- 
geordneten sollte die vollständige Ausnützung des vorhandenen Menschen- 
materials feststellen und die noch zahllosen Drückeberger zuerst an die Front 
schaffen. Turmel wirft der Regierung vor, daß nur Arbeiter und Bauern in 
den Schützengräben stünden. Jobert richtet heftige Angriffe gegen das Kriegs- 
ministerium. Die mit der Inspizierung der Depots betrauten Generale hätten 
selbst ihre Söhne und Schwiegersöhne kugelsicher untergebracht, die überdies noch 
avancierten und dekoriert würden, ohne jemals an der Front gewesen zu sein. 
Briand bekämpft den Antrag Jobert und stellt namens der Regierung 
die Vertrauensfrage. Unter heftigen Unterbrechungen der Linken protestiert 
ein Vertreter des Kriegsministeriums gegen die Angriffe Turmels. Turmel 
vereinigt dann seinen Antrag mit einem Antrag Auriol, von der Ein- 
berufung der Achtzehnjährigen so lange abzusehen, bis die Regierung über 
den Erfolg der lex Dalbiez genügende Auskunft gegeben habe. Der An- 
trag wird mit 405 gegen 115 Stimmen abgelehnt. 
Im Verlaufe der Debatte über die Gesetzesvorlage unternimmt der 
Deputierte Bernard einen leidenschaftlichen Angriff gegen die Regierung. 
„Die Regierung“, sagt er, „verschweigt uns die Wahrheit, wir kennen nicht 
einmal die Zahl unserer Toten und Verwundeten. Man sagt uns in den 
Heeresberichten heute, daß wir einen Graben erobert haben, aber gestern 
sagte man nicht, daß er verloren ging. Ihr erzählt uns täglich, wir seien 
an Zahl überlegen. Warum muß man denn jetzt die Jungen einberufen?“ 
(Abg. Brizon: „Wo bleiben die drei Millionen Ausländer?") Bei der 
weiteren Debatte kommt es wiederholt zu stürmischen Zusammenstößen. — 
Kriegsminister Gallieni erklärt, er befinde sich darin in vollstän- 
diger Uebereinstimmung mit Joffre, daß es sich bei der Forderung nach 
Einberufung der Jahresklasse 1917 nur um eine Vorsichtsmaßregel handle, 
der man zustimmen müsse. Die Einberufung bedeute nicht, daß die Jahres- 
klasse 1917 sofort an die Front geschickt würde, aber es sei nötig, daß diese 
Jahresklasse lange Zeit sorgfältig ausgebildet werde, damit sie für jeden 
möglichen Fall bereit sei. Gallieni fordert die Kammer auf, sie sobald wie 
möglich zu seiner Verfügung zu stellen, damit sie im Frühjahr 1916 bereit 
sei, zu einer Zeit, wo in Uebereinstimmung mit den Alliierten die Ver- 
stärkungen und Rüstungen Frankreichs ihm erlauben würden, eine ent- 
scheidende Anstrengung zu machen. Gallieni erklärt, es würden alle Maß- 
nahmen ergriffen, um die Gesundheit der jungen Leute zu schonen. Auf 
die Kritik eines Deputierten erklärt Gallieni unter dem einstimmigen Bei- 
fall der Kammer, er kenne weder Verwandte noch Freunde, er kenne nur 
seine Pflicht. Darauf gibt der Minister Erklärungen über die große land- 
wirtschaftliche Mobilisierung ab, die er in Uebereinstimmung mit dem Land- 
wirtschaftsminister für nächstes Frühjahr vorbereite. Gallieni schließt mit 
der Bitte, dem Lande die Jahresklasse 1917 zu geben. 
Durch Handaufheben nimmt darauf die Kammer die Gesetzesvorlage an.
	        
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