Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Erankrreih. (Dezember 25.,28.) 947 
über den Ursprung der Katastrophe, möge es die imperialistischen Eroberungs- 
vläne prüfen, die durch die regierenden Klassen Deutschlands kundgetan 
sind, möge es hören auf den Appell derer, die sozialistisch oder nicht, das 
Gewicht der Mittelmächte allzu schwer finden, und möge es dann gegen- 
über den Herren des Reiches in die entschlossenste und energischste Oppo- 
sition sich stellen! Möge es das politische Leben der deutschen Nation auf- 
richten, der deutschen Nation, die zu ihrem ihr eigentümlichen Genie zurück- 
gekehrt sein wird, bei einer Regierungsform, in der das allgemeine Wahlrecht 
keine leere Phrase ist, in der die Regierungen verantwortlich sind vor der 
Volkssouveränität und nicht allein vor dem Kaiser, dem ausschließlichen 
Herrn über die Katastrophen. 
Von diesem Gesichtspunkt aus prüft die sozialistische Partei die Frage, 
ob es angebracht ist, die internationalen Beziehungen und gleichzeitig die 
Beziehungen zu der deutschen Sektion wieder aufzunehmen, und sie knüpft 
die Wiederaufnahme dieser Tätigkeit an die Voraussetzung von Handlungen. 
Klar und ohne Zweideutigkeit muß die deutsche Sozialdemokratie den längst 
durch die Internationale festgesetzten Grundsätzen wieder Kraft und Leben 
verleihen: Zurückweisung des Imperialismus und der Eroberungspolitik; 
Anerkennung des Rechts, das die Völker haben, über sich selbst zu bestimmen, 
und die Nationalitäten oder Bruchteile von Nationalitäten, wenn sie verletzt 
werden, selbst ihre Lage zu bestimmen: Protest gegen die Verletzung des 
Völkerrechts und der Neutralitäten, die unter die Garantie von Europa 
gesetzt sjind. Nur wenn diese Versicherungen gegeben werden, nicht nur als 
Formen von Resolutionen, sondern als lebendige Regel ihrer Aktionen gegen 
die kaiserliche Regierung, nur wenn entscheidende Handlungen durch die 
Sozialdemokratie oder durch die Minoritätsopposition vollzogen werden, kann 
die Wiederaufnahme der Beziehungen ins Auge gefaßt werden. 
In der Tat, vom Standpunkt der sozialistischen Partei Frankreichs 
kann es keine Internationale geben ohne Prinzipien, keinen internationalen 
Sozialismus ohne Ideale und ohne Seele. Wie sollte die Internationale 
vorgeben, sie sei der Friede der Zukunft, wenn sie, konnte sie auch nicht 
zurzeit die Kriegsgeißel aufhalten, nicht mindestens das unbengsame Urteil 
bewahrte, welches man der Wahrheit schuldig ist; wenn sie nicht Gericht 
hält über die Regierungen, die schuldig sind, sich den Vermittlungen und 
dem Schiedsgericht entzogen und dadurch die Katastrophe beschleunigt, schließ- 
lich unvermeidlich gemacht zu haben. 
Die sozialistische Partei Frankreichs kann, wie hinzugefügt sei, nicht 
zugeben, daß diese Wiederaufnahme als ein Zeichen nationaler Schwäche 
aufgefaßt werde, sondern weist jede Propaganda dieser Art zurück. 
Die sozialistische Partei betrachtet als ein hoffnungsvolles Zeichen, daß 
die internationalen Beziehungen wiederhergestellt werden könnten, den 
Unterschied, der sich zwischen den imperialistischen Sozialisten Deutschlands 
und der Minderheit bemerkbar macht. Das Anwachsen dieser Minderheit 
ist es, welches die Ehre des internationalen Sozialismus selber retten wird 
und welches vielleicht, wenn die Minderheit energisch und weitblickend ist, 
die Erneuerung und das Heil des deutschen Volkes herbeiführen wird. Es 
steht in der Macht des deutschen Sozialismus, die Frist abzukürzen, in der 
der internationale Sozialismus seinen Lauf wieder aufnehmen kann. In- 
dem er Lehre zieht aus der Lektion dieses Krieges, der mehr noch als der 
Friede gezeigt hat, wie unvermögend die regierenden Klassen sind, um die 
menschlichen und sozialen Kräfte zusammenzufassen, um allen Völkern das 
Regime tatkräftiger Demokratie zu verleihen, um dem Allgemeininteresse das 
Sonderinteresse zu opfern, das durch die Konkurrenz der kapitalistischen 
Produktion ins Ungemessene gesteigert wird, weiß der Sozialismus, daß die
	        
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