Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

952 Stalien. (März 22.—31.) 
Mit 334 gegen 33 Stimmen wird ein Gesetz gegen Spionage, 
Schmuggel und die Verbreitung militärischer Nachrichten angenommen. 
In der Debatte greift der Republikaner Chiesa die Regierung wegen der 
angeblichen Begünstigung des Schmuggels nach Deutschland und Oesterreich- 
Ungarn an, kritisiert, daß italienische Waggons im Ausland zurückgehalten 
würden und rollt einige Fälle auf, die in der letzten Zeit die Presse be- 
schäftigten. Finanzminister Daneo erwidert, indem er die Grundsätze dar- 
legt, welche die Regierung bei der Behandlung von Ausfuhrfragen geleitet 
haben. Der Republikaner und Irredentist Barzilai nimmt die Gelegen- 
heit wahr, gegen eine nur teilweise Erfüllung des irredentistischen Pro- 
gramms durch die Verhandlungen mit Oesterreich zu protestieren. 
Die Adriafrage werde dann für immer zum Nachteil Italiens entschieden 
sein. Der Ministerpräsident Salan dra geht im Schlußwort nicht auf die 
internationale Politik ein. Das Gesetz habe nur nationalen Charakter, des- 
halb stelle die Regierung nicht die Vertrauensfrage. Der gegenwärtige 
Zustand des Landes erfordere die höchste Zurückhaltung. Er habe deshalb 
seinen früheren Erklärungen nichts beizufügen und nichts davon wegzu- 
nehmen. 
Am 15. März wird ein Antrag der Sozialisten, die Wirksamkeit des 
Gesetzes auf ein Jahr zu beschränken, von Salandra als unannehmbar 
erklärt und in namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 15 Stimmen bei 
einer Stimmenthaltung abgelehnt. Schließlich wird das ganze Gesetz in 
geheimer Abstimmung mit 234 gegen 25 Stimmen angenommen und die 
Sitzung geschlossen. 
22. März. Vertagung der Kammer. 
Ministerpräsident Salandra schlägt vor, die Kammer möge sich bis 
zum 12. Mai vertagen. Turati verlangt im Hinblick auf die internationale 
Lage verkürzte Kammerferien bis zum 15. April und spricht den Wunsch 
aus, daß Italiens Neutralität eine solche des Friedens und der Gerechtig- 
keit sei. Salandra erklärt, es liege der Regierung fern, ohne das Parlament 
regieren zu wollen. Wenn er trotzdem etwas längere Parlamentsferien 
vorschlage, wolle er eben alle Aufmerksamkeit auf die internationale Lage 
richten können. Bezüglich der äußeren Politik habe er wiederholt Beweise 
des Vertrauens der Kammer empfangen, das nur ein allgemeines sein könne, 
und bedeute, daß man der Regierung die größte Aktionsfreiheit lasse. Er 
habe das Bewußtsein, versichern zu dürfen, daß zwischen der Regierung und 
dem Parlament volle Uebereinstimmung hinsichtlich der Wahrung der legi- 
timen Interessen und gerechtfertigten Ansprüche des Landes bestehe. Die 
Kammer nimmt Salandras Vorschlag an und vertagt sich bis 12. Mai. 
28. März. Moratorium und Börse. 
Das am 31. März ablaufende Moratorium für Wechsel und Depositen- 
gelder wird nicht mehr verlängert, die Schließung der Börsen und das 
Verbot der Termingeschäfte dagegen bis zum 30. Juni erneuert. 
31. März. Die interventionistische Presse polemisiert gegen 
Rußland, weil es den serbischen Anspruch auf ein Küstengebiet an 
der Adria begünstige. 
„Giornale d'Italia“ sagt, man täte in Petersburg gut, die russische 
Presse zu beeinflussen, die in letzter Zeit in roher und ungerechter Weise 
über Italiens adriatische Interessen urteile. Es sei gut, daß man in Ruß- 
land wisse, daß Italien fest entschlossen sei, mit allen Mitteln zu verhindern, 
daß ein großes flawisches Staatswesen die Stellung Italiens in der Adria
	        
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