Italien. (Mai 7. 9.) 955
die d'Annunzio den römischen Zwillingen vergleicht. Der heutige Tag be-
deute für Italien das Datum zu einem neuen Zuge, wie der, von dem die
Steine des Denkmals redeten. Dicesen Zug predigten auch der Held Gari-
baldi und alle Märtyrer der italienischen Einheitskämpfe. Auch die Marmor-
schöpfungen Michelangelos, die „Morgenröte“ und die „Nacht“, wachten auf
und würfen von sich das Joch, das noch auf den italienischen Ostalpen laste.
Den Zug Garibaldis nach Sizilien vergleicht d’Annunzio alsdann mit den
Taten der homerischen Helden, den Felsen von Quarto mit dem Vorgebirge
von Mykale. Heute ertöne von dieser Stelle der Ruf, hier werde Italien zu
neuer Größe wiedergeboren. Der Tod der beiden Enkel Garibaldis, das
Erdbeben in den Abruzzen und andere Zeichen deuteten an, daß große Dinge,
daß Krieg bevorstehe. Ueber ganz Italien liege Morgenröte: das Feuer
wachse und fordere, genährt zu werden, und der Opfergeist Garibaldis rufe
über diesem Brande: Alles, was ihr habt, alles, was ihr seid, gebt es dem
brennenden Italien! Selig die, welche ihre Jugend, ihren keuschen Sinn,
ihren gestärkten Körper dem brennenden Italien geben können. Selig die,
welche nach Ruhm lechzen. Sie werden befriedigt. Selig die, welche das
verwundete Blut heilen und die Schmerzen des Krieges lindern. Selig die,
welche reinen Herzens, selig die, welche siegreich zurückkehren, denn sie
werden das neue Gesicht Roms schauen, die frisch bekränzte Stirn Dantes
und die triumphierende Schönheit Italiens.
Nach Beendigung seiner Rede bereitet die Menge dem Dichter eine
Huldigung.
Dem Bürgermeister von Genua ist zur Feier ein Telegramm des
Königs Viktor Emanuel zugegangen, das folgenden Wortlaut hat: Ob-
wohl die Staatsangelegenheiten, indem sie meinen Wunsch in Bedauern
verwandeln, mich abhalten, an der dortigen Feier teilzunehmen, so bleiben
doch meine Gedanken nicht dem dortigen Feste fern. Jenem schicksalsreichen
User des Ligurischen Meeres, das die Geburt dessen sah, der zuerst die
Einheit des Vaterlandes prophezeite, und das die Führer der Tausend mit
unsterblichem Mute zu unsterblichem Geschick abfahren sah, sende ich meinen
bewegten Gruß, und mit derselben Glut der Liebe, welche meinen großen
Ahnen führte, schöpfe ich aus der einmütigen Weihe der Erinnerungen Ver-
trauen in die ruhmreiche Zukunft Italiens.
7. Mai. Sonnino fordert im Ministerrat eine Entscheidung
über den von ihm befürworteten endgültigen Abbruch der Verhand-
lungen mit Wien und einen fömlichen Abschluß mit dem Drei-
verbande, bleibt aber in der Minderheit.
Infolgedessen werden am selben Tage die Kammern, die am 12. Mai
wieder zusammentreten sollten, durch königlichen Erlaß weiter auf den
20. Mai vertagt. Gleichzeitig wird Giolitti zur Besprechung mit dem
König und Salandra berufen.
9. Mai. Verfügung Salandras gegen Kundgebungen.
Der Ministerpräsident Salandra richtet an alle Präfekten folgendes
Telegramm: Da von Kundgebungen gegen fremde Staatsangehörige, die
sich in Jtalien aufhalten, und Versuchen zur Beschädigung ihrer Wohnungen
oder Geschäftsschilder gesprochen worden ist, sordere ich die Präfekten und
die ihnen unterstellten Behörden der Sicherheit auf, strengste Ueberwachung
auszuüben und jede Beschädigung von Personen und Eigentum zu ver-
hindern. Die erste Pflicht eines zivilisierten Volkes muß es sein, sich unter
allen Umständen von Akten von Gewalttätigkeit oder auch Mißachtung