960 Italien. (Mai 20.)
rechtigt, Verfügungen mit Gesetzeskraft zu erlassen, die von der Verteidigung
des Staates zum Schutze der öffentlichen Ordnung und der dringenden
sowie außerordentlichen Bedürfnisse der Volkswirtschaft gefordert werden!
Die Regierung ist berechtigt, die entsprechenden Ausgaben zu machen und
mit außerordentlichen Mitteln den Bedarf des Schatzes zu decken. Die Re—
gierung ist weiter ermächtigt, die Verwaltung des Gebarungsjahres 1915/16
ohne angenommenes Budget zu führen, sowie die außerordentlichen Mittel
aufzubringen, die durch die wachsenden Ausgaben und die Ausfälle in den
Einnahmen nötig sind. Salandra gibt die Erklärungen der Regierung in
solgender Rede ab: Seitdem Italien sich zu einer Staatseinheit erhoben
hat, hat es sich in der Welt der Nationen als ein Faktor der Mäßigung,
der Eintracht und des Friedens bewährt, und es kann stolz vor aller Welt
verkünden, daß es diese Aufgabe mit Festigkeit erfüllt hat, die sich nicht
einmal vor dem schmerzlichsten Opfer gebeugt hat. In der letzten Periode
von mehr als dreißig Jahren hat es das System von Bündnissen und
Freundschaften aufrechterhalten, die hauptsächlich den Zweck hatten, auf
diese Art das europäische Gleichgewicht und mit ihm den Frieden besser
zu sichern. Angesichts der Vornehmheit dieses Zieles hat Italien sogar nicht
allein die Mängel der Sicherheit seiner Grenzen ertragen und diesem Ziele
nicht nur die heiligsten nationalen Wünsche untergeordnet, sondern es mußte
auch mit unterdrücktem Schmerz den methodisch angewandten Versuchen zu-
sehen, den italienischen Charakter zu unterdrücken, welchen die Natur und
die Geschichte diesen edlen Landen unauslöschlich aufgedrückt hat. Das
Ultimatum, das im Jahre 1914 Oesterreich-Ungarn an Serbien richtete,
machte mit einem Schlage die Wirkungen unserer lange andauernden An-
strengungen zunichte, indem es das Abkommen verletzte, das uns mit Oester-
reich-Ungarn verband. Es verletzte dieses Abkommen durch ein Verfahren,
in dem es unterlassen war, mit uns, sei es eine vorgängige Verständigung
zu treffen, oder uns auch nur eine einfache Mitteilung zu machen, und ver-
letzte es in der Sache, indem es darauf ausging, zu unserem Nachteil das
empfindliche System territorialer Besitzungen und Einflußsphären zu stören,
das sich auf der Balkanhalbinsel herausgebildet hatte. Aber mehr noch als
der eine oder der andere besondere Punkt wurde der ganze Geist verletzt
und sogar unterdrückt, der diesen Vertrag erfüllte. Denn indem in der
Welt der schrecklichste Krieg entfesselt wurde in direktem Gegensatz mit
unseren Interessen und Gefühlen, wurde das Gleichgewicht zerstört, das
das Bündnis sichern sollte, und es erhob sich tatsächlich, aber unwiderruf-
lich das Problem der nationalen Unversehrtheit Italiens. Nichtsdestoweniger
widmete sich die Regierung während langer Monate geduldig der Aufgabe,
eine Verständigung zu suchen, die dem Vertrag seine Daseinsberechtigung,
die er sonst verloren hätte, wiedergeben sollte. Diese Verhandlungen mußten
indessen beschränkt sein, nicht nur der Zeit nach, sondern auch durch die
Würde, worüber hinaus die gesamten Interessen und die Ehre unseres
Landes bloßgestellt wären. Infolgedessen, und um diese höchsten Ziele
aufrechtzuerhalten, sah sich die königliche Regierung gezwungen, der
kaiserlich königlich österreichisch-ungarischen Regierung am 4. Mai die Zu-
rücknahme aller Vertragsvorschläge, die Aufkündigung des Bundesvertrages
und die Erklärung, daß sie sich ihre Handlungsfreiheit vorbehalte, zu noti-
fizieren. Andererseits war es aber nicht mehr möglich, Italien in seiner
Isolierung ohne Sicherheit und ohne Ansehen zu lassen, gerade in einem
Augenblick, wo die Weltgeschichte in eine entscheidende Phase tritt. An-
gesichts dieser Sachlage und der Erwägung der Schwierigkeit der inter-
nationalen Lage muß die Regierung auch politisch vorbereitet sein auf jede
noch so schwere Prüfung, und sie ersucht daher die Kammer durch den vor-