Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Italien. (Juni 2.) 977 
erfahren, daß italienische Kriegsschiffe in der Nähe von Saloniki gesehen 
worden seien, wo sie Operationen mit elektrischen Scheinwerfern vorgenommen 
hätten. Aehrenthal erklärte ferner, daß unser Vorgehen an den Küsten der 
europäischen Türkei und an den Inseln des Aegäischen Meeres weder von 
Oesterreich-Ungarn noch von Deutschland zugelassen werden könne und daß 
es dem Vertrage des Dreibundes entgegengesetzt sei. Am 3. Dezember er- 
klärte Graf Berchtold, der inzwischen Nachfolger Aehrenthals wurde, dem 
italienischen Botschafter in Wien, daß er bezüglich unserer Overation 
gegen die Küsten der europäischen Türkei und die Inseln des Aegäischen 
Meeres dem Standpunkte Aehrenthals treu bleibe, wonach diese Operationen 
von der österreichisch-ungarischen Regierung als den von uns in Artikel 7 
des Dreibundvertrages übernommenen Verpflichtungen zuwiderlaufend er- 
achtet wurden. Unsere Operationen gegen die Dardanellen betrachtete er 
als im Widerspruch stehend 1. mit unserem Versprechen, keinerlei Hand- 
lungen vorzunehmen, die den Statusquo gefährden könnten, 2. mit dem 
Sinne des Vertrages, der sich auf die Erhaltung des Statusquo gründete. 
Als später unser Geschwader vor den Dardanellen beschossen, das Feuer 
durch dieses erwidert und das feuernde Fort beschädigt wurde, beschwerte 
sich Berchtold über das, was geschah, da er es im Widerspruch mit den 
gemachten Versprechungen stehend fand. Er erklärte, wenn die italienische 
Regierung ihre Handlungsfreiheit wieder zu gewinnen beschlösse, hätte die 
ösfterreichisch-ungarische Regierung dasselbe tun können. Er fügte hinzu, er 
habe nicht zulassen können, daß wir künftig derartige gewissermaßen mit 
seinem Gesichtspunkte in Widerspruch stehende Operationen unternehmen 
würden. Ebenso wurde die von uns geplante Besetzung von Chios verboten. 
Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, wie viele Leben italienischer Sol- 
daten und wie viele Millionen uns dieses Verbot kostete, das unser ganzes 
Vorgehen gegen die Türkei lahmlegte, die sich durch unsere Bundesgenossen 
vor jedem gegen ihre wichtigsten Teile gerichteten Angriffe geschützt wußte. 
Man hat uns bitter vorgeworfen, daß wir die in den letzten Zeiten 
gemachten Angebote nicht angenommen haben. Aber waren diese Angebote 
in gutem Glauben gemacht? Gewisse Dokumente lassen vermuten, daß dem 
nicht so war. Kaiser Franz Joseph erklärte, daß Italien gierige Blicke auf 
das Erbteil seines Hauses werfe. Bethmann Hollweg sagte, daß man durch 
diese Konzessionen unsere Neutralität zu erkaufen beabsichtigt habe. Also, 
meine Herren, zollen Sie uns Beifall, daß wir das nicht angenommen 
haben! Uebrigens. entsprachen diese Zugeständnisse in ihrer letzten und ver- 
späteten Form keineswegs den sachlichen Zielen der italienischen Politik, 
nämlich erstens der Verteidigung der italienischen Nationalität, die die 
größte unserer Pflichten ist, zweitens der Sicherung militärischer Grenzen, 
welche diejenigen ersetzen sollen, die uns 1860 aufge zwungen worden sind 
und durch welche alle Türen Italiens unseren Gegnern offen stehen, drittens 
der Erzielung einer minder gefährlichen strategischen Lage in der Adria, 
als es die augenblickliche Lage ist, deren Wirkung Sie in diesen Tagen 
noch gesehen haben. Alle diese hauptsächlichen Vorteile wurden uns in 
aller Form verweigert. Im Grünbuch findet sich ein österreichisches Dokument, 
das eine gewisse Naivetät bezeugt, indem es ungefähr besagt: Dies können 
wir nicht geben, weil es die strategische Grenze verändern würde. Aber 
es handelte sich nicht um eine Verteidigungsgrenze für Oesterreich, sondern 
um eine Angriffsgrenze gegen Italien. Auf unser Mindestansuchen, Triest 
die Unabhängigkeit zu geben, erwiderte man, indem man für Triest die 
Selbstverwaltung anbot. Die Frage der Ausführung dieser Versprechungen 
war gleichfalls sehr wichtig. Man sagte uns, daß wir an der Ausführung 
dieser Versprechungen nicht zweifeln dürften, weil wir die Bürgschaft Deutsch- 
62“
	        
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