Ilalien. (Juni 6.) 983
vor allem auf den Zeitpunkt der Abtretungen. Burian will von einer Ab-
tretung vor der Beendigung des Krieges nichts wissen, während Sonnino
auf der alsbaldigen Auslieferung des an Italien abzutretenden Gebiets
besteht, auch nachdem Fürst Bülow am 20. März im Auftrag des Reichs-
kanzlers erklärt hat, daß „die deutsche Regierung die volle und ganze Ge-
währ übernimmt, daß das zu schließende Abkommen treu und loyal erfüllt
werden wird, sobald der Krieg beendigt ist“. Obgleich über diese Frage
eine Einigung nicht erzielt wird, kann Avarna am 27. März das bekannte
österreichisch--ungarische Angebot (Abtretung des ehemaligen Bistums Trient)
übermitteln. Es ist bezeichnend, daß das Grünbuch von da an die auf die
Verhandlungen bezüglichen Telegramme immer wieder mit Meldungen
— die erste vom 29. März, von dem italienischen Botschafter in Peters-
burg — über angebliche Friedensverhandlungen der Zentralmächte mit
Rußland untermischt, offenbar zu dem Zweck, den Zentralmächten die Ab-
sicht eines doppelten Spiels zu unterstellen und damit das eigene Verfahren
zu beschönigen.
In der am 31. März übermittelten Antwort Sonninos auf die Wiener
Vorschläge werden diese als „vag und unsicher“, das territoriale Angebot
wegwerfend als „ein Fetzen Land im Trentino“ bezeichnet, der keine ge-
nugende Grundlage für Verhandlungen bilde. Anstatt der von Oesterreich
als Gegenleistung geforderten und übrigens im Dreibundvertrag vorgesehenen
„wohlwollenden“ Neutralität wird eine „vollkommene“ Neutralität angeboten,
„da die geographische Lage Italiens im Mittelmeer ihm irgendwelche Be-
günstigung einer der beiden kriegführenden Gruppen verbiete, die von seiten
der andern, die das Meer beherrscht, Repressalien herbeiführen könnte“.
Da Italien ja schon bis dahin eine „vollkommene“ Neutralität beobachtet
hatte, so konnte ein Zweifel über den Wert dieser italienischen Gegenleistung
nicht bestehen! Gleichwohl erklärte Burian am 2. April, keine Neutralität
verlangen zu wollen, die Italien Gefahren von anderer Seite aussetzen
konnte. Am 2. April neue Meldung, diesmal von Bollati, über einen an-
geblich bevorstehenden Separatfrieden mit Rußland, und am 8. April drahtet
Sonnino an Avarna die bekannten italienischen Gegenvorschläge, denen das
Grünbuch sofort wieder ein Gefolge von Telegrammen aus Nisch, Sofia
und Berlin über Separatfriedensgerüchte beigibt. Die italienischen Vor-
schläge werden in Wien (15. April) in ihrer Gesamtheit, insbesondere aber
in den auf die Abtretung des Isonzogebiets und der Curzolarischen Inseln-
und der Schaffung eines unabhängigen (aber mit der Abtretung des Isonzo-
gebiets dem italienischen Einfluß ausgelieferten!) Staates Triest bezüglichen
Artikeln mit den vitalen Interessen der Monarchie unvereinbar befunden.
Eine Erweiterung des Angebots im Trentino erklärt Sonnino am 21. April
noch immer für ungenügend, namentlich aber dringt er nach wie vor auf
die Zusage der sofortigen Abtretung. Am 25. April telegraphiert Avarna,
der übrigens schon lange eine pessimistische Meinung über den Ausgang
der Verhandlungen kundgibt, „wenn auch alle anderen Fragen gelöst würden,
so sei es überaus schwierig, daß über die Frage der sofortigen Abtretung
eine Einigung erzielt werde.. Daher erscheine ein Einvernehmen auf
der Grundlage der italienischen Vorschläge im gegenwärtigen Stand der
Dinge nahezu unmöglich"“. Am 29. April meldet Avarna den Vorschlag
Burians, „Maßnahmen zu vereinbaren, die nicht den mindesten Zweifel
über die Ausführung der Abtretung zulassen würden, so etwa die Ernennung
einer Kommission, die sich mit den aus der Abtretung entstehenden Fragen
zu beschäftigen hätte“. Unmittelbar auf diesen Vorschlag folgen am 3. und
4. Mai der französische Text der Bundeskündigung und Avarnas Meldung
von seiner Uebermittlung an Burian.