1002 Italien. (Dezember 16./17.)
nationalen Aktion Richtlinien gebe. Bei Besprechung der Zensur bedauerte
Barzelotti, daß die Rede, die Turati im vergangenen Mai in der Kammer
gehalten habe, wegen des Zensurverbotes weder in den Zeitungen noch im
Buchhandel habe erscheinen können. Barzelotti erklärt sich vollkommen einig
mit den Ideen Turatis, obwohl er nicht Sozialist sei. Schließlich sagt
Barzelotti: Unsere Tätigkeit hat uns das Lob unserer Verbündeten um so
sicherer verschafft, als unsere Verpflichtungen gegen die Entente in direktem,
beinahe geometrischem Verhältnis zu ihren diplomatischen und militärischen
Fehlern stärker wurden.
Nach mehreren anderen Rednern äußert Marconi seine Freude
darüber, daß Italien dem Londoner Vertrage beigetreten sei, und
wünscht, daß dieser Akt ein wahrhaftiges gegenseitiges Vertrauen unter den
Verbündeten mit sich bringen werde. Marconi vertraut, daß die Regierung
von Großbritannien die Gesinnung Italiens genau erfaßt habe, und daß
sie ihre Mitarbeit bei der ökonomischen, industriellen und kommerziellen An-
strengung leihen werde, die Italien zurzeit unternehme. Der Redner ist der
Ansicht, es sei nicht gerechtfertigt, daß die Valuta des italienischen Lire
gegenüber dem Sterling beträchtlich gefallen sei. Auch die Frachtsätze der
Handelsmarine, die auf der Preisbildung in London beruhten, seien auf
eine Höhe gestiegen, die nicht gerechtfertigt erscheine und in Italien die
Preise der für das Volk unentbehrlichen Rohstoffe auf eine unerschwingliche
Höhe getrieben habe.
Am 17. Dezember erklärt in Beantwortung der Rede Barzelottis
Salandra: Barzelotti behauptet, er wäre einig mit der Regierung in
den Zielen des Krieges, aber nicht in den Mitteln, und kritisiert die Re-
gierung, weil sie von ihren außerordentlichen Machtbefugnissen keinen guten
Gebrauch gemacht habe. Barzelotti hat aber auch die Ziele des Krieges
kritisiert. Erklärte er doch, dem zuzustimmen, was ein Führer der sozialistischen
Partei in der Kammer gesagt habe. Dieser Abgeordnete aber bekämpfte
nicht die Mittel, sondern den Krieg selbst. Es ist also natürlich, daß Barze-
lotti, der dem zugestimmt hat, nicht die Anwendung der Mittel zur Füh-
rung des Krieges billigt. Barzelotti habe auch hervorgehoben, daß die Re-
gierung nicht die Neutralität im wahren und gerechten Sinne aufrecht-
erhalten habe; die Neutralität sei loyal aufrechterhalten und ebenso loyal
aufgegeben worden. Er lege Wert darauf, das zu versichern, damit nicht
fremde Kanzleien sich das zunutze machten, was Barzelotti sagen zu müssen
geglaubt habe. Salandra wies darauf die Anschuldigungen Barzelottis zurück.
daß das Parlament den bedeutsamsten Entscheidungen der Regierung in
der auswärtigen Politik ferngehalten worden sei. Er halte es nicht für
zweckmäßig, daß in Italien das System dauernder Sonderausschüsse des
Senats und der Kammer eingeführt werde, um über politische, diplomatische
und militärische Fragen zu urteilen. Es wäre auch nicht möglich, in
das Ministerium die Häupter der Opposition eintreten zu lassen, weil in
Italien keine Opposition bestände, die mit der Regierung hätte zusammen-
arbeiten können, mit Ausnahme der Sozialistenpartei, die aber nicht be-
züglich der Kriegsmittel, sondern der Kriegsziele anderer Meinung sei.
Weiter weist Salandra Barzelottis Kritik der inneren Politik zurück und
cerklärt, daß man in keinem Lande so viel Freiheit genieße wie in Italien.
Salandra verlangt schließlich, daß der Senat durch Annahme der
Tagesordnung Muratori, der Regierung sein Vertrauen ausspreche.
Diese besagt, daß der Senat die Politik der Regierung billige, und wird
einstimmig mit 221 Stimmen angenommen.