Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

X. 
Belgien. 
1. Jan. Der Erzbischof von Mecheln, Kardinal Mercier, er- 
läßt einen zur Verlesung von allen Kanzeln bestimmten Hirtenbrief. 
Die Verlesung wird vom Generalgouverneur v. Bissing untersagt. 
Die Belgier sollten, so heißt es in dem Hirtenbrief, das über sie ge- 
kommene Unglück als eine nicht unverdiente Züchtigung des Himmels an- 
sehen. Ueber die Ereignisse äußert er sich folgendermaßen: „Belgien war 
durch seine Ehre verpflichtet, seine Unabhängkeit zu verteidigen. Es hat sein 
Wort gehalten. Die Mächte hatten die belgische Neutralität zu achten und 
zu schützen versprochen. Deutschland hat seinen Eid gebrochen, England ist 
ihm treu geblieben.“ 
Ueber die Haltung, die das Volk gegen die Deutschen einnehmen soll, 
äußert er sich so: „Diese Macht hat keine gesetzliche Autorität. Folglich 
schuldet ihr derselben in der Tiefe eurer Herzen keine Achtung, Zuneigung 
oder Gehorsam. Indessen befindet sich der besetzte Teil unseres Landes in 
einer Lage, der er sich unterwerfen sollte. Die meisten unserer Städte haben. 
sich dem Feinde ergeben. Sie sind verpflichtet, die Bedingungen ihrer Ueber- 
gabe zu achten. Unser Heer allein hat unsere Ehre unter seinem Schutz. 
Lernt, wie wir am besten unsere Befreiung durch jenes erwarten.“ 
16. Jan. Strafsteuer auf das Vermögen der landflüchtigen Belgier. 
Laut Verordnung werden alle Belgier, die nach Kriegsausbruch frei- 
willig ihren Wohnsitz ausgaben und bis zum 1. März 1915 nicht zurück- 
kehren, zu einer Sondersteuer in Höhe des Zehnfachen der für 1914 ver- 
anlagten Personalsteuer herangezogen. 
Um nur die Wohlhabenden zu treffen, wird eine nach der Bevölkerungs- 
ahl der Gemeinden abgestufte Mindeststeuergrenze festgesetzt. Der Ertrag 
fält zur Hälfte den Gemeinden und zur Hälfte dem Generalgouvernement 
zu für Zwecke der Verwaltung. 
23. Jan. Grenzverkehr mit Holland. 
Der Generalgouverneur erläßt folgende Bekanntmachung: 
In der letzten Zeit haben wiederholt wehrfähige Personen versucht, 
heimlich die holländische Grenze zu überschreiten, um in das feindliche 
Heer einzutreten. Ich bestimme daher folgendes: 1. Alle Vergünstigungen, 
die im Grenzzonenverkehr nach Holland gelten, werden für wehrfähige 
Belgier aufgehoben. 2. Belgier, die verbotswid'#ig die Grenze nach Holland 
zu überschreiten versuchen, setzen sich der Gefahr aus, von den Grenzposten 
erschossen zu werden. Wehrfähige werden auf alle Fälle bestraft und als 
Kriegsgefangene nach Deutschland abgeführt. 3. Wer den verbotswidrigen 
Uebertritt eines wehrfähigen Belgiers nach Holland befördert oder begünstigt, 
wird nach den Kriegsgesetzen behandelt. Dies gilt auch für die Familien- 
angehörigen der Wehrfähigen, die den Uebertritt nicht verhindern. 4. Als 
Wehrfähige im Sinne dieser Verordnung gelten alle männlichen Belgier
	        
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