Belgien. (August 3.) 1041
Ich hatte soeben eine längere Unterredung mit Herrn de Margerie.
Er ist sehr besorgt wegen der Lage. Frhr. v. Schoen hatte versprochen, die
österreichische Antwort auf die in Wien gemachten Eröffnungen mitzuteilen.
Es ist nichts erfolgt. Indes ist nirgendwo die Fühlung zwischen den Kanz-
leien verloren gegangen, überall finden Besprechungen statt, doch ohne Er-
gebnis. Herr de Margerie hat mir folgende militärischen Nachrichten mit-
geteilt, die ich Ihnen sofort telegraphiert habe: Deutschland hat sein Heer
auf den Fuß der Kriegsgefahr gesetzt; das bedeutet eine namhafte Er-
schwerung in den schon getroffenen Maßnahmen; Rußland hat wichtige
Entscheidungen wegen seiner Eisenbahnen getroffen. Das alles ist zwar
noch keine eigentliche Mobilmachung, allein man kommt ihr nahe. Ich
fragte, was die französische Regierung tun werde. Herr de Margerie ant-
wortete, sie würde nicht vor Deutschland mobil machen, gewisse Maßnahmen
konnten jedoch dringlich werden.
Am 1. August meldete Baron Beyens, daß der Mobilmachungsbefehl
in Deutschland erlassen sei, und daß Berlin versuche, die Verantwortung
für den Krieg auf Rußland abzuwälzen. Anderntags verwies er auf
einen Einfall in Luxemburg, von dem die Rede gehe, am 2. berichtete
Graf Errembault de Dudzele, Gesandter in Wien, die dortigen Eindrücke
wie folgt:
Infolge der Ermordung Jaures“ verbreitete sich gestern abend das
Gerücht, daß in Paris Revolution ausgebrochen und daß der Präsident
der Republik ermordet worden sei. Der französische Botschafter, den ich
um 11 Uhr sprach, sowie der Minister des Auswärtigen, der mich um
1 Uhr empfing, hatten keine Bestätigung dieser Nachricht, die ohne Zweifel
von solchen verbreitet wurde, die hofften, die französischen Sozialisten würden
sich dem Krieg widersetzen. Man erfuhr im Gegenteil, daß Frankreich seiner-
seits mobil gemacht habe. In Wien ist man wegen der Entscheidung sehr
besorgt, die England treffen wird. Infolge der Unterredungen, die ich dieser
Tage mit Sir Maurice de Bunsen hatte, nehme ich an, daß die britische
Regierung zuerst ihre Versöhnungsversuche bis zur letzten Stunde fortsetzen
und während der ersten Tage eine abwartende Haltung einnehmen wird.
Das hat mir heute auch Graf Berchtold gesagt. Die öffentliche Meinung
rechnet hier viel auf eine völlige Enthaltung Englands, und die Blätter
bringen andauernd Aufsätze, welche diese Meinung bekräftigen sollen. Ich
glaube, man täuscht sich hierüber allzusehr. Der Botschafter sagte mir vor-
gestern: „In England vermag noch niemand zu sagen, was wir tun werden.
Die Ereignisse werden unsere Haltung bestimmen, allein wir werden Frank-
reich nicht erdrücken lassen, ohne einzugreifen.“
Am 4. August berichtete Baron Beyens über seinen Abschiedsbesuch bei
Staatssekretär v. Jagow. Unterdes unterrichtete der Gesandte in London,
Graf de Lalaing, den Minister in Brüssel über die Haltung Englands. Am 5.
telegraphierte er, die Unterstützung des englischen Hilfskorps sei noch nicht
gewiß, der prächtige Widerstand Belgiens werde jedoch die Aufgabe des
britischen Kabinetts gegenüber der öffentlichen Meinung erleichtern. Am
7. August telegraphierte er, die heldenmütige Haltung Belgiens habe das
englische Volk bewogen, in den Krieg gegen Deutschland einzutreten. Am
6. August hatte Baron Guillaume bei der französischen Regierung auf eine
Beschleunigung der Absendung französischer Truppen nach Belgien ge-
drungen. Zwischen dem belgischen Minister des Auswärtigen und dem Ge-
sandten in Wien fand ein Gedankenaustausch über die Ausweisung der
österreichisch-ungarischen Untertanen aus Antwerpen statt, weil dem Militär-
gouverneur des Platzes das Recht zu dieser Maßregel zustand. Zahlreiche
andere Aktenstücke sind bestimmt, nach3zuweisen, welche Maßregeln die bel-
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