Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

XVI. 
Rußland. 
Anfang Jan. In verschiedenen Städten, namentlich in Peters— 
burg und Odessa, finden geheime Prozesse gegen Offiziere und Sol- 
daten der Schwarzen Meer-Flotte statt. 
Beteiligt sind die Besatzungen der Schiffe „Zar“, „Zaritza“, „Nadeschda“, 
„Kometa"“, „Imperator Nikolai II.“, „Imperator Alexander II.“. Es werden 
bis zu 10 Jahren Kerker verhängt. 
3. Jan. Es erscheint ein Orangebuch über den russisch- 
türkischen Krieg. 
Das „Orangebuch“ enthält 98 Dokumente. Es wird die Behauptung 
aufgestellt, daß die Türkei gegen ihren eigenen Willen zum Krieg gegen 
den Dreiverband durch heimliche Agitatoren der österreichisch-ungarischen 
und der deutschen Diplomaten getrieben wurde. Die türkische Unabhängig- 
keit, schon durch die deutsche Militärmission geschmälert, sei völlig bei der 
Ankunft der „Goeben“ und der „Breslau“ verschwunden. Sobald die 
deutschen und österreichisch-ungarischen Diplomaten die Ueberzeugung er- 
langt hätten, daß die Türken zögerten, hätten deutsche Hände die Schiffe 
zum verräterischen Angriff gegen die friedlichen Küsten des Reiches geführt, 
das mit den Türken beste nachbarliche Beziehungen unterhalten hat. 
15. Jan. Budgetentwurf. 
In seinem Exposé zum Budgetentwurf für 1915 stellt Finanzminister 
Bark fest, daß die Beendigung der Mobilmachung die allmähliche Wieder- 
herstellung des Warenverkehrs gestattet habe. So war der Waren- 
verkehr auf den Eisenbahnen im November 1914 nur um 23% geringer 
als im November 1913. Zeitweilige Verschiebung der Fälligkeitstage für 
Darlehen und die Einschränkung des Bedarfs in den ersten Augenblicken 
nach der Kriegserklärung hätten dem Handel bedeutende Schwierigkeiten 
verursacht. Dennoch habe sich die Lage schnell gebessert. Die Messe in 
Nischni-Nowgorod habe bereits einen befriedigenden Erfolg gehabt und eine 
Preissteigerung für gewisse Waren erzeugt. Der ungünstige Einfluß des 
Krieges auf den Handelsverkehr habe sich beständig vermindert dank den 
Maßnahmen zur Stützung des Kredits und der Wiederherstellung des 
Warenverkehrs auf den meisten Eisenbahnen. Eine Arbeitslosigkeit von 
Industriearbeitern sei nicht beobachtet worden, außer in den Gegenden, in 
denen sich die Kriegsoperationen abspielen, wo die Arbeitslosigkeit durch 
das Aufhören der industriellen Produktion bedingt worden sei. Abgesehen 
von den vom Feinde besetzten Gebieten habe das industrielle Leben des 
Landes keine wesentliche Verminderung erfahren. 
Die verhältnismäßig günstige Lage erkläre sich besonders durch die 
Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter infolge des Verbotes des 
Spirituosenverkaufs. Diese Erhöhung der Leistungsfähigkeit betrage 30
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.