Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1134 Rußland. (Oktober 5.—12.) 
sie jede Serbien feindliche Haltung als gegen sich ansehen würden. Die 
von dem Vorsitenden des bulgarischen Kabinetts als Antwort auf diese 
Warnungen reichlich abgegebenen Versicherungen sind durch die Tatsachen 
widerlegt. Der Vertreter Rußlands, der mit Bulgarien durch die unver- 
gängliche Erinnerung an Bulgariens Befreiung vom türkischen Joche ver- 
bunden ist, kann nicht durch seine Anwesenheit die Vorbereitungen zu dem 
brudermörderischen Angriff auf ein flawisches Volk und einen Verbündeten 
gutheißen. Der russische Gesandte erhielt. darum den Auftrag, Bulgarien mit 
dem gesamten Personal der Gesandtschaft zu verlassen, wenn die bulgarische 
Regierung nicht binnen 24 Stunden offen die Beziehungen zu den Feinden 
der slawischen Sache und Rußlands abbricht und wenn sie nicht unverzüglich 
dazu schreitet, die Offiziere zu entfernen, welche Armeen der Staaten an- 
gehören, die sich mit den Mächten der Entente im Kriege befinden. 
5. Okt. Bark kehrt von London nach Petersburg zurück. 
Zur Stützung des Rubelkurses erklärten sich, wie verlautet, die Londoner 
Großbanken bereit, einen beträchtlichen Teil des Bestandes der russischen 
Staatsbank an Auslandswechseln zu diskontieren. Außerdem bewilligte 
England an Rußland einen Barvorschuß und sicherte die weitere Bezahlung 
der Zinsscheine der russischen Anleihen in England. 
5. Okt. Das Handelsministerium beschließt, daß das Warschauer 
Polytechnische Institut bis auf weiteres nach Moskau verlegt wird. 
6. Okt. Durch Regierungsverfügung werden sämtl. ausländische 
Unternehmungen, die Agenturen in Rußland unterhalten, zur Ein- 
kommensteuer herangezogen, und zwar für jede Agentur getrennt. 
6. Okt. Gegen den ehemaligen Kriegsminister Suchomlinow 
ist eine Untersuchung wegen grober Bestechlichkeit eingeleitet. 
7. Okt. Finanzminister Bark ordnet zur Stärkung der Reichs- 
mittel an, daß alle Reserven der Pensions= und Alterskassen und Ver- 
sicherungsgesellschaften in Reichsschatzscheinen angelegt werden müssen. 
10. Okt. Der Minister des Innern,. Fürst Schtscherbatow, 
tritt zurück und wird durch den Kammerherrn Chwostow ersetzt. 
12. Okt. Der Presse geht vom Ministerium des Aeußern folgen- 
der Rechtfertigungsbericht zu, der die Geschichte der russischen 
Balkandiplomatie im amtlichen russischen Lichte darstellt: 
Die Kaiserliche Regierung hat am Anfang des Weltringens, in welchem 
sie mit ihren Verbündeten zusammen zum Schutz der Unabhängigkeit der 
Völker vor deutschen Eroberungen auftrat, sich in der äußeren Politik ein 
Hauptziel gesetzt — mitzuwirken bei der Besiegung des Feindes. Im Laufe 
der ganzen verflossenen Kriegsperiode hat die russische Diplomatie ihre Wege 
und Mittel ausgewählt und gewechselt ausschließlich mit Rücksicht auf diese 
Aufgabe. Bei solchen Bedingungen mußte unsere Balkanpolitik zu allererst 
nach der Gründung eines Balkanblockes streben, welche eine bedeutende 
Erleichterung unserem Siege über die österreichisch-deutsch--türkische Koali- 
tion bringen würde. Die Schaffung des Blockes war nur möglich auf dem 
Wege der Versöhnung Bulgariens mit seinen Nachbarn auf Grund der 
Anerkennung berechtigter Volkshoffnungen und dementsprechender Abgrenzung 
der Interessensphären.
	        
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