Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Rußland. (Oktober 12.) 1135 
Diesem Ziele war auch die Arbeit der russischen Diplomatie auf dem 
Balkan geweiht, welche die ganze Zeit in engem Zusammenhang mit der 
Diplomatic der verbündeten Mächte arbeitete. Noch im Juli des Jahres 
1914 sagte die Kaiserliche Regierung dem bulgarischen Kabinett, daß ein 
gewissenhaftes, ehrliches Uebereinkommen mit Rußland Bulgarien reelle 
Vorteile bringen werde. Die Erregung von Zwistigkeiten in Mazedonien 
sowie alle Handlungen, welche gegen Serbien gerichtet sind, würden von 
uns als ein offener Feindschaftsakt gegen Rußland angesehen werden. 
Gleichzeitig wurde die serbische Regierung darauf hingewiesen, daß zur 
Erlangung des gemeinsamen Zieles — Sieg über den Feind — gewisse 
Opfer nötig seien. 
Nach den Schritten der russischen Diplomatie, deren führende Be- 
deutung in Balkanfragen von allen Verbündeten anerkannt war, zögerten 
die Mächte der Verbündeten nicht mehr mit ihren gemeinsamen Aufträgen. 
Am 16. (29.) August 1914 überreichten die gesamten verbündeten Regie- 
rungen Herrn Pasitsch eine Note, welche die Ueberzeugung aussprach, Ser- 
bien werde bereit sein, Bulgarien Gebietsabtretungen für seine Hilfe gegen 
die Türkei zu gewähren, wenn es selbst auf anderen Gebieten dafür ent- 
schädigt würde. Auf diese Note antwortete die serbische Regierung schon 
am 19. August (1. Sept.) und erklärte sich einverstanden, einen Teil ihres 
Territoriums abzutreten und dafür auf Kosten Oesterreich-Ungarns ent- 
schädigt zu werden. 
Ende Oktober, nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg, machte die 
Entente Bulgarien konkrete Vorschläge. Es wurde Bulgarien für ein Ein- 
greifen gegen die Türkei territorialer Zuwachs versprochen. Bulgarien sagte 
aber, daß es weiterhin eine strenge Neutralität ein zuhalten gewillt sei und 
sich selbst auf territoriale Versprechungen hin nicht entscheidend zu binden 
wünsche. 
Die Haltung der bulgarischen Regierung im Zusammenhang mit der 
unaufschiebbaren Notwendigkeit, Serbien zu Hilfe zu kommen, veranlaßte 
die Ententemächte (Ende November 1914), der Regierung Herrn Rado- 
slawows zu erklären, daß man Serbiens Verbündetem Griechenland gegen- 
über die Garantie gegen einen bulgarischen Angriff übernommen habe: 
diesesmal wurde Bulgarien darauf hingewiesen, daß es für eine wirkliche 
Neutralität nach dem Kriege gerechten Landzuwachs (Fanitable Améliora-- 
tion toerritoriale) in Mazedonien und Thrazien bis zur Linie Enos—Midia 
erhalten könne. 
Der glänzende Sieg Serbiens über Oesterreich schwächte einigermaßen 
die Hoffnung, Serbien zu einem territorialen Opfer zu bewegen. Dessen- 
ungeachtet hat die Kaiserliche Regierung im Einvernehmen mit den Ver- 
bündeten sich unablässig bemüht, einen Balkanblock zu schaffen. Im Januar 
1915 wurde von den Mächten das neue russische Projekt besprochen, dessen 
Grundlagen folgende waren: 1. Als Entschädigung Bulgariens für seinen 
Uebertritt auf die Seite der Entente die unbestrittene Zone Mazedoniens. 
2. Als Kompensation für Serbien einige österreichische Länder und weit- 
gehender Zutritt zur Adria. 
Die geplante Demarche in Sofia und Nisch mußte aufgeschoben werden, 
einesteils wegen der ungünstigen Stimmung in Serbien, hauptsächlich aber, 
weil Bulgarien zu der Zeit den Beschluß gefaßt hatte, seine abwartende 
Position beizubehalten. Herrn Radoslawow hinderte dieser Beschluß jedoch 
nicht, auf Kosten der österreichischen Regierung die Skythen in Mazedonien 
zu bewaffnen, was wiederum von unserer Seite im März die Warnung 
hervorrief, in welcher wir dem Kabinett von Sofia die ganze Schuld für 
die Folgen der skythischen Bewegung beimaßen. 
Europäischer Geschichtskalender. LVI. 72
	        
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