Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1154 Tũrkei. (Juni 9.—Juli 11.) 
damit begnügt, den Aufstand der Armenier auf diese Weise vorzubereiten, 
sie haben auch versucht, die muselmanischen Bevölkerungsteile ebenfalls 
gegen die Regierung Seiner Majestät des Sultans zu empören. Um diesen 
Zweck zu erreichen, haben sie sogar die Ausübung persönlicher Verbrechen 
organisiert, wofür die Beweise in den Händen der Hohen Pforte sind. 
Diese ungqualifizierbaren Umtriebe sind selbst in den ältesten und von 
Handlungen der Grausamkeit am meisten befleckten Zeiten nicht mehr be- 
obachtet worden. Die englische, die französische und die russische Re- 
gierung, die seinerzeit Aufstände und Umtriebe im Kaukasus, in Marokko, 
in Aegypten, in Indien usw. auf das brutalste und durch ganz uumensch- 
liche Mittel unterdrückte, sind kaum berechtigt, der türkischen Regierung die 
Abwehrmaßregeln zum Vorwurf zu machen, zu denen sie sich genötigt sah 
und die sie übrigens mit der größten Mäßigung und Gerechtigkeit an- 
gewendet hat. Die türkische Regierung hat bei dieser Gelegenheit nur ihre 
einfachste Hoheitspflicht ausgeübt, und die Behauptung, wonach die Mit- 
glieder der Kaiserlichen Regierung und die anderen Staatsbehörden für 
die erwähnten Abwehrmaßregeln verantwortlich zu machen seien, verdient 
gar keine Erwiderung. Auf die Mächte des Dreiverbandes fällt 
vielmehr die ganze Verantwortung für die Ereignisse zurück, 
über die sie sich beklagen zu müssen glauben. Denn diese Mächte 
sind es selbst, welche die in Rede stehende revolutionäre Bewegung organisiert 
und geleitet haben, und ihre Erklärung bedeutet nur eine offenkundige Unter- 
stützung und Ermunterung der armenischen Agitatoren. 
9. Juni. Kriegsminister Enver Pascha erklärt in einer Unter- 
redung mit dem Vertreter der United Preß, die Türkei sei entschlossen, 
im Kampf für ihre Unabhängigkeit bis zum Ende auszuharren. 
Die Dardanellen, sagte Enver Pascha, seien so uneinnehmbar wie 
Gibraltar, eine türkische Unterseeflotte verteidige wirksam den Bosporus, 
Konstantinopel sei durch sie völlig gesichert, auch Italiens Teilnahme am 
Krieg werde keine wesentliche Veränderung der Lage herbeiführen. [Siehe den 
Bericht in der Beck'schen Chronik des Deutschen Kriegs Bd. V S. 460 ff.) 
1. Juli. Aus Anlaß der Wiederherstellung des Sultans wird 
den militärdienstpflichtigen Unteroffizieren und Mannschaften, die 
wegen Vergehen verurteilt worden sind, Amnestie gewährt. 
Denen, die sich der Militärpflicht entzogen haben, wird eine Frist von 
dreißig Tagen gewährt, um der Einberufung Folge zu leisten. 
5. Juli. Nach Mitteilungen aus Konstantinopel haben eng- 
lische U.Boote im Bosporus mehrfach unbewaffnete Handelsschiffe, 
die weder Truppen noch Kriegsmaterial an Bord hatten, ohne 
Warnung torpediert. 
Siehe das Nähere Beck'sche Chronik des Deutschen Kriegs Bd. VI S. 303f. 
9. Juli. Auf den Sultan wird bei der Fahrt zum Selamlik ein 
Bombenanschlag verübt, der erfolglos bleibt. Der Täter entkommt. 
11. Juli. Die durch das Gesetz vom 13. April bewilligten 
Kassenscheine in der Höhe von einem türkischen Pfund im Ge- 
samtbetrage von 150 Millionen Franken werden in Verkehr gesetzt.
	        
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