Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1214 Serbien. (September 5.—Oktober 15.) 
plötzlich England, das die finanzielle Seite des Arrangements über- 
nehmen sollte, kurz vor Toresschluß unerwartete Schwierigkeiten machte. 
Es verlangte von Rumänien, welches meines Erachtens sich so weit als 
möglich gebunden hatte, noch ganz besondere Garantien, die es, ohne sein 
Ansehen in Europa zu verlieren, weder übernehmen konnte noch wollle. 
Die Verhandlungen zogen sich ein paar Tage in die Länge, es kam die 
russische Deroute in Galizien, und Rumänien wurde schwankend. 
Auch Venizelos verdankt seinen Sturz im März hauptsächlich Eng- 
lands Doppelspiel. England hatte damals fast ganz ohne Mitwirkung seiner 
Verbündeten die Verhandlungen mit Griechenland geführt. Neben einer 
finanziellen Unterstützung waren Griechenland große Gebietsteile in Klein- 
asien zugesichert, außenen sollte es Südalbanien erhalten und nach dem 
Kriege die beiden Inseln Lemnos und Tenedos. Ueber die beiden letzten 
Aspirationen Griechenlands sind erst noch in den jüngsten Tagen erhebliche 
Schwierigkeiten zwischen den Kabinetten in Athen und Rom entstanden. 
Wenige Stunden vor der bekannten Kabinettssitzung, der der griechische 
König präsidierte, erschien unerwartet der englische Gesandte bei Venizelos 
und eröffnete ihm, daß England seine Zusagen hinsichtlich Südalbaniens 
nicht aufrecht erhalten könnc, da Italien, mit dem man es damals aus 
bekannten Gründen nicht verderben wollte, Widerspruch erhebe, und die 
italienischen Argumente nicht ohne weiteres abzuweisen seien. Auch wegen 
Abtretung der beiden Inseln wurden Einschränkungen gemacht. Venizelos 
machte hiervon dem Ministerrat Mitteilung. Durch dieses Verhalten seines 
Schutzheiligen wurde sein Sturz beschleunigt. 
Nur England ist an dem unerträglichen Drucke schuld, unter dem 
Serbien jetzt leiden muß. England will Bulgarien, koste es was es wolle, 
zum Vorgehen gegen die Türkei bewegen. Nur wenn sich Bulgarien ent- 
schließen würde, ein starkes Landheer gegen die Türken zu schicken, hätte der 
Vierverband Aussicht, bald in den Besitz Konstantinopels zu gelangen. Da- 
durch würde Englands Hauptziel, seinen Besitzstand in Aegypten und Indien 
gegen alle europäischen Angriffe zu sichern, der Erfüllung näher gebracht. 
England hat für den Volkscharakter fremder Nationen nicht das ge- 
ringste Verständnis. England gebärdet sich so, als ob seine Vorherrschaft 
auf der Welt gleichbedeutend mit dem Interesse der Menschheit sei. 
5. Sept. Die Skupschtina bewilligt einstimmig für General 
Putnik ein nationales Ehrengeschenk von 250000 Franken. 
1. Okt. Der Vierverband verpflichtet sich, Serbien die in 
dessen Bündnisvertrag mit Griechenland festgesetzte Zahl von Streit- 
kräften zu liefern und sie in Saloniki oder anderswo zu landen. 
2. Okt. König Peter erläßt einen Armeebefehl, in dem es heißt: 
Ich, der ich zu Eurem König bestimmt wurde, besitze nicht mehr die 
Kraft, an der Spitze meiner Armee den Verteidigungskrieg auf Tod und 
Leben zu führen. Ich bin ein schwacher Greis, der Euch alle nur segnen 
kann. Aber ich schwöre Euch, sollte uns die Schmach zuteil werden, daß 
wir unterliegen, dann werde auch ich nicht den Untergang des Vaterlandes 
überleben. 
10. Okt. Die Regierung richtet an Griechenland die Auf- 
forderung, im Falle eines serbisch-bulgarischen Krieges ihr die im 
Vertrage von 1913 vorgesehene Hilfe zu leisten. 
15. Okt. Die Hauptstadt wird nach Mitrowika verlegt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.