Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1220 Griechenland. (März 19. — April 7.) 
geschlagen, 50000 Mann zur Eroberung der Dardanellen zur Verfügung 
zu stellen, wofür Griechenland das Wilajet Smyrna erhalten sollre. Der 
Generalstab selbst habe geantwortet, wenn 50000 Mann abgingen, könne 
er Griechenland nicht mehr gegen einen türkisch-bulgarischen Angriff ver- 
teidigen. Darauf habe er, Venizelos, die Forderung ausf 15000 Mann und 
die ganze Flotte beschränkt. Aber auch dies sei abgeschlagen worden mu 
dem Einwand, daß die Gegenwart der griechischen Truppen beim Einzug 
in Konstantinopel Rußland verletzen würde. Er habe geantwortet, das dürfe 
Griechenland, solange Frankreich und England ihm günstig seien, nicht be- 
kümmern, ja mit Geschicklichkeit könne es einen Zwiespalt zwischen Rußland 
und seinen Verbündeten ausnutzen. Man habe eingewendet, wer Griechen- 
land den Erwerb des Smyrnas garantiere, und ferner, daß Smyrna schwer 
gegen einen türkischen Angriff zu verteidigen sei. Er habe erwidert, Griechen- 
land werde Rußland und Italien als Nachbarn in Kleinasien haben. Mit 
diesen beiden Mächten müsse Griechenland immer zusammengehen. Für die 
griechischen Interessen genüge die Freundschaft Englands und eine Schwächung 
der Türkei. Aber alle seine Gründe seien am Widerstand des Königs, einiger 
Politiker und des Generalstabes gescheitert, der die Gefahr betonte, daß der 
Feind in Griechenland einbrechen könne. 
19. März. Ein Teil der englisch-französischen Flotte, die am 
18. März schwer beschädigt die Dardanellen verlassen mußte, hat 
in Saloniki Verwundete ausgeschifft und Proviant eingenommen. 
Die griechische Regierung forderte, daß binnen 24 Stunden Salonifki 
geräumt werde. 
Ende März. Die Engländer haben, wie der Korrespondent des 
„Corriere della Sera“ berichtet, Lemnos wieder verlassen und dafür 
Tenedos besetzt. 
7. April. Venizelistische Intrige. 
Durch das Preßbüro wird folgende Kundgebung veröffentlicht: „Die 
Regierung, die von gewissen Vorgängen Kenntnis erhalten hat, die sich seit 
ihrer Bildung zugetragen haben, erklärt, daß der König niemals eingewilligt 
hat, in Vorverhandlungen über die Abtretung griechischen Gebiets an eine 
fremde Macht einzutreten, und daß er niemals derartigen Vorschlägen zu- 
gestimmt hat. Die Regierung sieht sich zur Veröffentlichung dieser Kund- 
gebung wegen der letzthin von Venizelos in den Blättern veröffentlichten 
Mitteilungen veranlaßt.“ 
Zu dieser Regierungskundgebung haben, wie sich herausstellt, die 
folgenden Tatsachen die Veranlassung gegeben: 
Infolge eines Briefes, den Venizelos an den Minister des Aus- 
wärtigen Zographos schrieb, hatte sich Ministerpräsident Gunaris veranlaßt 
gesehen, öffentlich festzustellen, daß Venizelos an Bulgarien die Kasas von 
Drama, Sarichalar und Kavalla habe abtreten wollen. Hierauf hatte der 
frühere Ministerpräsident mit einem längeren Brief an Gunaris geantwortet, 
in dem er eine solche Absicht, wenigstens in bezug auf Drama und Kavalla, 
in Abrede stellt, zugleich aber von einem Privatbrief, den er an den König 
gerichtet habe, Mitteilung macht. In diesem Brief erörtert Venizelos die 
Frage, mit welchen Mitteln die Neutralität Bulgariens während des Ein- 
greifens Griechenlands in den Krieg gesichert werden könne, und riet dem 
König zu diesem Zweck, 2000 Quadratkilometer in Mazedonien 
unter folgenden Bedingungen Bulgarien anzubieten: „1. Als
	        
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