Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

1226 Griechenland. (Oktober 3. 4.) 
3. Okt. Griechenland protestiert gegen den von Frankreich an- 
gekündigten Truppendurchzug durch griechisches Gebiet. 
Der französische Gesandte richtet an den Ministerpräsidenten fol- 
genden Brief: Im Auftrage meiner Regierung habe ich die Ehre, Ew. Er- 
zellenz in Kenntnis zu setzen von der Ankunft des ersten fran zösischen 
Truppendetachements in Saloniki und gleichzeitig zu erklären, daß Frank- 
reich und England als Bundesgenossen Serbiens ihre Truppen senden. 
sowohl um Serbien zu Hilfe zu kommen, als auch mit Serbien Verbinduang 
zu unterhalten, und daß die beiden Mächte darauf rechnen, daß Griechen- 
land, das ihnen bereits soviele Beweise der Freundschaft gegeben hat, sich 
nicht diesen Maßregeln widersetzen werde, die im Interesse Serbiens ge- 
troffen wurden, das zu gleicher Zeit der Bundesgenosse Griechenlands ist. 
Gez. Guillemin. 
Der griechische Ministerpräsident antwortet: 
In Beantwortung Ihres Schreibens habe ich die Ehre, Euer Exzellenz 
zu erklären, daß die königliche Regierung. welche neutral in dem europäi- 
schen Kriege ist, die durch Sie angeführten Handlungen nicht gutheißen 
kann, da sie die Neutralität Griechenlands berühren, ein Eingriff, der von 
umso größerer Bedeutung ist, da er durch zwei große kriegführende Mächte 
geschieht. Die Regierung hat sofort die Pflicht, gegen den Durchmarsch 
fremder Truppen durch griechisches Gebiet zu protestieren. Der Umstand, 
daß diese Truppen ausschließlich bestimmt sind, um Serbien, dem Bundes- 
genossen Griechenlands zu Hilfe zu kommen, ändert in keiner Weise die 
juristische Stellung der königlich-griechischen Regierung. Denn selbst vom 
Balkanstandpunkt aus betrachtet, würde das neutrale Griechenland, wenn 
nicht der casus foederis gegeben ist, absolut nichts zu tun haben mit der 
Gefahr, die im Augenblick Serbien bedroht, und die die Ursache der Ent- 
sendung internationaler Truppen ist, um Serbien zu Hilfe zu kommen. 
Gez. Venizelos. 
3. Okt. Der König unterzeichnet das Dekret der Verhängung 
des Belagerungszustandes über Athen und den Piräus. 
3. Okt. Der Vierverband teilt der Regierung mit, daß die 
Vorschläge zurückgezogen worden sind, die Bulgarien gemacht worden 
waren, um seine Teilnahme an dem Kriege gegen die Türkei zu 
erlangen. Ferner kündigt der Vierverband an, daß Frankreich und 
England Serbien Truppen zu Hilfe schicken und in Saloniki 
landen würden. 
4. Okt. (Kammer.) Debatte und Beschlußfassung über die Frage 
der Teilnahme am Krieg an der Seite Serbiens. 
Venizelos verliest den (oben mitgeteilten) Brief des französischen Ge- 
sandten, worin die Ankunft der ersten Truppen des Verbandes in Salonikie 
mitgeteilt und zugleich erklärt wird, daß dieses Heer den Serben als Ver- 
bündeten des Verbandes Hilfe bringen solle, und teilt zugleich die Antwort 
der griechischen Regierung mit. Venizelos erklärt, daß Griechenland den 
Durchmarsch der Truppen nicht mit Gewalt verhindern werde. 
Das würde die Neutralitätspflichten Griechenlands im jetzigen Kriege über- 
schreiten. Aber man müsse erwägen, ob der Durchmarsch Griechenland nicht 
Schaden bringen könne. Das sei nicht der Fall, weil der Verband alle den 
Bulgaren gemachten Versprechungen zurückgezogen habe.
	        
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