Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Griechenland. (Oktober 4.) 1227 
Der frühere Ministerpräsident Dragumis fragt darauf, 1. ob die 
griechische Mobilmachung in Mazedonien nicht durch die fremden Truppen 
gestört werde, und 2. ob Griechenland nicht vermeiden müsse, eines Tages 
dem deutsch-österreichischen Heere gegenüberzustehen. 
Venizelos antwortet auf die erste Frage, daß alle Maßregeln ge- 
troffen seien, um die Mobilmachung in Mazedonien unbehindert durch- 
führen zu können. Auf die zweite Frage müsse er die Antwort vorläufig 
ablehnen. 
Rallis, ebenfalls früherer Ministerpräsident, sagt, daß außer der 
Regierung auch die Rammer protestieren müsse gegen das Attentat auf die 
Unverletzlichkeit Griechenlands. Als die Neutralität Belgiens verletzt wurde, 
hat Deutschland vorher um die Erlaubnis zum TDurchmarsch gebeten; bei 
uns ist das nicht einmal geschehen: uns wurde nur in grober Weise die 
erfolgte Landung mitgeteilt. Die Angabe, daß die Verbindung mit Serbien 
durch den Verband gesichert werden müsse, ist nur eine Beleidigung; als 
ob wir diese Sicherung nicht selbst besorgen könnten oder wollten! Die 
Regierung hätte energischer gegen das vom Verbande begangene Unrecht 
Einspruch erheben müssen. Wir hätten eine gerechtere Beurteilung erwarten 
dürsen. Der französische Gesandte sucht uns zwar zu trösten, erinnert uns 
aber dadurch an die Abtretung von Kavalla und Serres, die der Verband 
ungerechterweise von uns forderte. 
Gunaris, Präsident der letzten Regierung, schließt sich dem Proteste 
von Rallis gegen die Verletzung der griechischen Neutralität und Unabhängig- 
keit an und verlangt von Venizelos eine Beantwortung auch der anderen 
an ihn gerichteten Fragen. 
Theotokis, früherer langjähriger Ministerpräsident, erinnert an die 
früheren Verletzungen der griechischen Neutralität durch die Besetzung von 
Inseln des Aegäischen Meeres und protestiert ebenfalls gegen die neue Ver- 
letzung. Ob damals Widerspruch gegen die Besetzung der Inseln erfolgt sei, 
wisse er nicht. Aus den Worten von Venizelos entnehme er, daß dieser 
Griechenland nach dem Vertrage mit Serbien für verpflichtet halte, den 
Serben zu helfen, sobald sie von Bulgarien angegriffen würden. Darüber 
erbitte er eine Erklärung. Nachdem Venizelos geantwortet hat, daß er 
diese Verpflichtung voll anerkenne, fährt Theotokis fort: Ich bin anderer 
Ansicht. Seitdem Serbien zugunsten Bulgariens auf das nördliche Maze- 
donien verzichtet hat, das den Gegenstand unseres Bündnisses mit Serbien 
bildet, hat der serbisch-griechische Vertrag seine Gültigkeit verloren. Ich 
frage ferner: Wenn mit Bulgarien noch andere Mächte Serbien angreifen, 
haben wir dann auch die Verpflichtung, den Serben zu helfen? Wenn 
Venizelos dieser Ansicht ist, dann bedeutet unsere Mobilmachung unsere 
Teilnahme am Kriege. Dagegen erhebe ich Einspruch. Hoffentlich auch die 
Kammer. 
Der frühere Minister Dimitrakopulos protestiert ebenfalls und 
fordert die Regierung auf, den Vertrag mit Serbien der Kammer mit- 
zuteilen, damit diese nicht ohne seine Kenntnis urteile. Es berühre die Ehre 
der Kammer, da ein fremder Gesandter sich auf einen griechischen Vertrag 
berufe, den die Kammer nicht einmal kenne. 
In ähnlichem Sinne spricht noch der Abgeordnete Busios, der früher 
in der türkischen Kammer eine große Rolle spielte. Nachdem der Abgeordnete 
Nakos sich gegen die Proteste gewandt und seine Freude über die Landung 
der Verbandstruppen in Saloniki ausgesprochen hat, antwortet Venizelos: 
Als ich im Februar die Regierung niederlegte, war Griechenland aufgefordert 
worden, an dem gemeinsamen Kampfe des Verbandes teilzunehmen mit der 
Aussicht auf große Landerwerbungen in Kleinasien und ohne jede Ab-
	        
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