Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

XXIV. 
Vereinigte Staaten von Nordamerika 
und Kanada. 
2. Jan. Panamerikanische Politik. 
Die Regierung der Vereinigten Staaten erläßt an die Zentral- und 
südamerikanischen Staaten die Einladung, im Frühjahr Vertreter zur Be- 
sprechung der aus dem Kriege sich ergebenden finanziellen und kommerziellen 
Fragen nach Washington zu entsenden. Es scheint sich dabei haupt- 
sächlich darum zu handeln, die finanzielle Unabhängigkeit Amerikas von 
Europa zu sichern. Es verlautet, daß man in den Kreisen der Beamten 
des Staatsdepartements, des Schatzamtes und des Handelsamtes ernstlich 
mit der Möglichkeit rechnet, daß New York ein ernster Konkurrent im Kampf 
um die Vorherrschaft im Gebiet der Weltfinanz werde, und daß das 
amerikanische Kapital in Mittel- und Südamerika berufen sei, das englische 
zu ersetzen. 
3. Jan. (Senat.) Ein Gesetzentwurf, der die Einwanderung von 
Analphabeten verbietet, wird angenommen. 
Präsident Wilson ist gegen deren Ausschließung und teilt mit, daß 
er ein Veto gegen diesen Entwurf einlegen werde. Der Senat nimmt darauf 
einen Zusatzantrag an, der belgischen Ackerbauern die Einwanderung gestattet. 
4. Jan. (Senat.) Erörterung des Plans des Ankaufs von 
Schiffen durch die Regierung der Vereinigten Staaten. 
Der Berichterstatter, Senator Lodge, spricht sich gegen den Plan aus, 
der offenbar nur eine Form der Unterstützung der Entente darstelle. 
10. Jan. Die englische Antwort auf die Protestnote der Ver- 
einigten Staaten vom 28. Dez. v. Is. (s. ob. Großbritannien S.723 ff.) 
wird auch in der englandfreundlichen Presse Amerikas scharf kritisiert. 
7. Jan. (Boston.) Der deutsch-amerik. Zentralverband für Boston 
und Umgebung richtet einen Aufruf an die Deutsch-Amerikaner. 
Darin heißt es: „Schon sind Stimmen laut geworden, die darauf 
hinarbeiten, daß unsere Regierung sich mit an dem Rriege gegen Deutsch- 
land beteiligen solle, gegen das Land, das nie mit den Vereinigten Staaten 
im Unfrieden gelebt hat, das der Union so viele tapfere Krieger, so viele 
geistige und materielle Kraft geliefert hat, das Land, dessen Söhne zur 
Reltung der Union so viel beigetragen haben. Wenn wir zugeben, daß die 
deutsch-feindlichen Kräfte noch weiter ihr verderbliches Wesen treiben und 
die neutralen Elemente unter unseren amerikanischen Mitbürgern verhetzen, 
so machen wir uns des Verrates schuldig, nicht nur an den Vereinigten 
Staaten, ndern auch an denen, die einst ihr Leben für die Union gelassen
	        
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