Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einunddreißigster Jahrgang. 1915. Zweite Hälfte. (56b)

Gresbritannien. (Juni 15.) 777 
Schatzkanzler Mac Kenna: Es wird häufig übersehen, daß wir 
gegen die Berbündeten gewisse Verpflichtungen übernommen haben. Wir 
verpflichteten uns nicht nur, die Meere ihrem Handel offen zu halten, son- 
dern auch ihre Einkäufe im Auslande größtenteils zu fsinanzieren. Daher 
ist sofortige nationale und häusliche Sparsamkeit notwendig. Sparsamkeit 
ist notwendig, um den Kredit zu erhalten. Sie wird die Fonds schaffen, 
wenn auch der im Frieden erwartete Rückgang des Handels eintritt. Wenn 
Chiozza Money sagte, England könne vier Millionen Soldaten und vier 
Millionen Arbeiter zur Herstellung von Munition aufbringen, während 
17 Millionen die gewöhnliche Friedensindustrie fortsetzen könnten, so glaube 
ich nicht, daß wir eine solche Reservekraft an Industrie oder Kapital in 
England haben. Im Lande besteht nicht genug Energie, um alle Friedens- 
güter zu erzeugen, deren wir bedürfen, und alle Güter, die wir für die 
Ausfuhr brauchen. Wir müssen von Amerika sehr viel mehr für den eigenen 
Bedarf einführen als im Frieden. Wir haben nicht nur unsere amerika- 
nische Einfuhr, sondern auch diejenige anderer Staaten zu bezahlen, können 
aber unsere amerikanischen Werte nur in beschränktem Umfange oder zu 
niedrigen Preisen, das heißt mit dauerndem Schaden für unsere Finanz- 
lage, verkaufen. Erst wenn wir unseren eigenen Bedarf gedeckt haben, 
kommt der Ueberschuß unserer industriellen Kraft für die Ausfuhr zur Be- 
zahlung unserer Einfuhr in Betracht; wir müssen also äußerst sparsam sein, 
um unsere Zahlungsfähigkeit gegenüber dem Auslande zu erhöhen, und müssen 
große Opfer bringen, um unsere finanzielle Vormachtstellung zu behalten und 
auch auf diesem Gebiete Sieger zu bleiben. — Sir Henury Dalziel billigt 
die Bildung des Koalitionsministeriums, da die frühere Regierung aus 
zu großem Selbstvertrauen alle von außen kommenden Vorschläge abgelehnt 
hätte: nun würden endlich nach neun Kriegsmonaten kaufmännische Me- 
tboden bei der Munitionsherstellung angewandt. Redner begrüßt es freudig, 
daß schon neun Monate lang die Baumwolleinfuhr nach Deutschland ver- 
hindert worden sei, fragt sodann, ob Asquith den Munitionsmangel in 
Abrede stellen könne, äußert seinen fortdauernden Zweifel an der Zweck- 
mäßigkeit des Dardanellenunternehmens, welches viel schwerer sei, als die 
Nation hätte ahnen können, und spricht die Hoffnung aus, daß Asquith er- 
klären könne, daß die Regierung das Unternehmen ebenso hoffnungsvoll 
ansehe wie Churchill. — Premierminister Asquith erklärt, über bisherige 
oder künftige Operationen an den Dardanellen zu sprechen liege nicht im 
öffentlichen Interesse, sie würden aber zum Erfolge führen. — Markham 
(lib.) äußert, der wegen der Kriegführung besorgten Nation könne die 
Kriegsverwaltung kein Gefühl der Sicherheit geben; die Schuld an dem 
Munitionsmangel liege entweder an der Artillerieabteilung oder bei Kit- 
chener;: er greift Kitchener an, der im Kriegsministerium nicht auf seinem 
richtigen Platze stehe und besser zum Höchstkommandierenden ernannt worden 
wäre. Zehntausende von Leuten, darunter Bergarbeiter, seien monatelang 
gedrillt worden, ohne ein Gewehr zu sehen; das sei törichte Verschwendung. 
Er bedauert, daß Haldane, der beste englische Kriegsminister, nicht im 
Kabinette sei. Seine Freunde würden das Kabinett unterstützen, damit der 
Krieg erfolgreich zu Ende geführt werde, sich aber ihre Redefreiheit, auch 
gegenüber dem Kriegsamte, nicht nehmen lassen, dessen Verschwendung und 
Unfähigkeit nach dem Kriege einen großen Skandal hervorrufen werde; 
boffentlich werde der neue Schatzkanzler das Kriegsministerium im Zaume 
halten. 
Die Kriegskreditvorlage wird sofort ohne Debatte in zweiter Lesung an- 
genommen. Die dritte Lesung schließt sich unmittelbar an. Schatzkanzler Mac 
Kenng erklärt hierbei, die Finanzvorlage treffe Vorsorge nur für ein Viertel-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.