Vie ãsterreigisq·nngarishe Nenarqie. (Juni 12. - 16.) 105
stellen wird. (Lebh. Beif. bei den Tschechen.) Leider sehen wir, daß die alte
Gehässigkeit, die große gewesene Feindschaft österr. Regierungen gegen das
böhmische Bolk in dieser Regierung weiter besteht wie früher. Auch in
der Thronrede sieht man die Wiederbelebung des alten josephinischen Staats-
prinzips. Der Staat ist das Primäre, die Völker das Sekundäre. Und
heute hat man diese Idee wieder aus den Erklärungen des Ministerpräsi-
denten gehört. Die moderne Demokratie geht von dem gegenteiligen Ge-
sichtspunkt aus: das Primäre ist das Bolk und das Sekundäre erst der
Staat. Der Staat ist ein Mittel für die Erreichung der Zwecke der ein-
elnen Bölker. Deshalb sieht man, daß die Welt nur dann einen Frieden
schlieten will, wenn sie weiß, daß er abhängig gemacht ist von der inneren
Hufriedenheit der einzelnen Völker. Nur ein solchr Friede ist haltbar.
ine Erweiterung der Autonomie Galiziens ist gewiß nicht aus-
gischlossen. Wenn aber Graf Clam glaubt, daß wir in einen Reichsrat,
er nicht mehr von poln. Abgeordneten in ihrer jetzigen Zahl beschickt wäre,
je eintreten werden, so irrt er gewaltig. Wir werden uns hier nicht ver-
gewaltigen lassen. Wenn die Polen so selbständig werden sollten, was
wir ihnen gönnen und wünschen, wir aber hier vergewaltigt werden sollten,
dann bedeutet das die Auflösung dieses Reichsrates. Wir wollen glücklich
sein wie die anderen, wir wollen frei werden von jedem Zwange, von jeder
fremden Vorherrschaft. Wir wollen unsere Kinder in unseren Schulen, in
unserer Sprache und im Geiste unserer Geschichte und unserer Kultur zu
uten Bürgern unseres böhmischen Vaterlandes erziehen. Wir wollen die
Dzim unseres politischen Lebens selbst bestimmen. Wir wollen uns in
inkunft selbst Gesetze geben, wollen uns selbst regieren. Wir wollen den
Sig aller unserer Behörden auf dem geschichtlichen Boden unseres Vater-
landes wissen, und es ist unser Wille, daß dieselben miteinander und in
allen Instanzen ausnahmslos in unserer Sprache verkehren. Wir verlangen
die Wiederherstellung der politischen Selbständigkeit und des souperänen
Staatsrechtes der böhmischen Nation auf dem geschichtlichen Boden der
Länder der böhmischen Krone. Auch für die anderen Völker kennen wir
kein anderes nationalpolitisches Programm als den freien Willen dieser
Bölker. Wir streben also an die Umgestaltung der habsburg-lothringischen
Monarchieineine Gemeinschaft freiergleichberechtigter Staaten,
welche eine natürliche Anziehungs- und Koalitionskraft sowohl für die
Balkanslawen ausüben müßte wie für den großen polnischen Staat im
Norden, dessen Auferstehung auf den Trümmern und dem Schutt der
morschen und abgelebten Diplomatenmoral von gestern sich bald unter
unserem neidlosen Jauchzen und Jubeln vollziehen wird. Wenn wir eine
solche Umwandlung des alten zentralistischen Oesterreich in eine Staaten-
gemeinschaft freier Nationen anstreben, tun wir es in der Ueberzeugung,
aß dadurch sowohl der mächtigen Bedeutung des gemeinsamen Bundes
— wie könnte uns die gleichgültig sein, da wir soviel Blut Jahrhunderte
lang hinein investierten? — als auch dem steten Frieden auf Erden am
wirksamsten gedient sein wird. (Lebh. Beif. bei d. Tschechen.)
Abg. Dobernig (Deutschnat.): Auch wir haben die Größe des Augen-
blicks mitempfunden, der den neuen Herrscher zum ersten Mal mit den
Volksvertretern zusammenführte, und dieser Augenblick hat tausendfache
Fäden zwischen dem Monarchen und uns Deutschen gesponnen. Denn die
Fülle der Gedanken in der Thronrede, getragen von sozialem Empfinden
von hohem sittlichen Ernst und von fester Entschlußbereitschaft, sind gewiß
nicht ohne tiefen Eindruck auf uns geblieben. Der Weg, den Kaiser Karl
gemaͤß seiner Thronrede gehen will, ist auch der unsere. (Lebh. Beif.
. d. Deutschnat.) Die Vertreter des deutschen Volkes in Oesterreich sind