148 Die A##lerreichischungerische Monarchie. (Juni 30.)
Front kämpfen, sieht sich die griechische Regierung genötigt, die diploma-
tischen Beziehungen zu Oesterreich-Ungarn abzubrechen.
Der Gesandte ersucht ferner um Ausfolgung seiner Pässe und bringt
gleichzcitig zur Kenntnis, daß der Schutz der griechischen Interessen in der
Monarchie dem niederländischen Geschäftsträger übertragen sei.
30. Juni. Selbstbestimmungerecht der Völker.
Zur Erläuterung der Erklärung des Ministerpräsidenten vom 27. Juni
(s. S. 131) veröffentlicht das halbamtliche Wiener „Fremdenblatt“ fol-
genden Leitartikel: Am 27. Juni d. J. hat der Abg. Daszynski im Ab-
geordnetenhause eine Anfrage über die Friedensvorbereitungen gestellt (i.
S. 129 f.) und hierbei ausgeführt, die k. u. k. Regierung habe in ihrer wieder-
holten Erklärung die Bereitwilligkeit ausgesprochen, einen Frieden ohne
Annexionen und Kontributionen auf Grund des Selbstbestim-
mungsrechtes der Völker anzuerkennen. Die Vieldeutigkeit des Wor:cs
vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und die wechselnde Bedeutung.
welche die Ententemächte ihm unterlegt haben, dürften schuld daran sein,
daß die hierüber abgegebene Erklärung des Ministerpräsidenten
mehrfach mißverstanden wurde. Zuerst tauchte diese Formel in der Bot-
schaft des Präsidenten Wilson vom 22. Jan. 1917 auf, als Forderung
allgemeiner Demokratisierung, also nach innerer Reform der einzelnen
Staaten. Der hierin gelegene, nicht nur sympathische, sondern auch zeit-
gemäße und durchaus gerechtfertigte Gedanke eines Ausbaues des Nationali-
tätenrechts auf politischem und kulturellem Gebiele, im Rahmen des Gesami-
staates, entspricht vollkommen der Auffassung unserer Regierungskreise. In
der Thronrede hat dieser Reformgedanke programmatischen Ausdruck ge-
funden. Die Prov. russische Regierung hat dann in ihrer Erklärung
vom 10. April 1917 der Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Bölter
einen durchaus anderen, rein außenpolitischen Inhalt gegeben. Unter Ab-
lehnung der Absicht, andere Völker zu beherrschen und diesen ihr nationales
Erbe wegzunehmen, hat die russische Regierung den kriegführenden Staaten
das Recht zuerkannt, das Schicksal ihrer Völker beim Friedensschluß selbst
zu bestimmen. Dieser Auffassung von den Grundlagen eines dauernden
Friedens mit dem russischen Volke vermochte sich die österr.-ung. Regierung
ohne weiteres nicht anzuschließen. Ist doch dieser Krieg für unsere Mächte-
gruppe ein Volkskrieg im wahren Sinne des Wortes, der nicht durch einen
Frieden entschieden werden kann, welcher den Wünschen unserer Völker
widerspräche, die ja von Anbeginn an für die Erhaltung ihrer angestammten
Wohnsitze und für das Recht kämpfen, ihre Schicksale ohne Einmischung
Dritter zu bestimmen. Seither hat die Formel vom Selbstbestimmungrsrech:
der Völker in ihrem Laufe durch die verschiedenen Erklärungen der
Ententemächte eine neue Wandlung ihrer Bedeutung erfahren. Sie ist
zur Forderung des Verzichtes der Monarchie auf das Selkst-
bestimmungsrecht geworden. Das heißt, sie verzichtet auf ihre Souve-
ränität und Integrität, sie verzichtet auf ihr und ihrer Völker Recht, das
Verhältnis der Nationalitäten zum Staat auf dem Boden der inncren
Politik durch das verfassungsmäßige Zusammenwirken von Krone und
Parlament selbst zu bestimmen. Dieser letzte von den Ententemächten ge-
prägte Begriff des Selbstbestimmungsrechtes der Völker bedeutet uns gegen-
über einen Eingriff in das Gefüge der Monarchie. An die Stelle des Rechtes
Oesterreich-Ungarns, über seinen territorialen Bestand frei zu bestimmen,
sollte ein den einzelnen Nationalitäten Oesterreich-= Ungarns verliehenes
Recht treten, sich das Gesetz ihrer staatlichen Zugehörigkeit selbst zu geben.
Das war im geraden Gegensatz zum Lwowschen Gedanken, die Verneinung