162 Die õfterreithisqh · nngarishe Monartchie. (Juli 28.)
allgemeine politische Lage übergehend führt er weiter aus: Lloyd
George hat in seiner letzten Rede bei der Jahresfeier der belgischen Un-
abhängigkeitserklärung in London (s. Großbr., 21. Juli) die vom Reichs-
kanzler in der Reichstagssitzung vom 19. d. M. abgegebenen Erklärungen
(s. Tl. 1 S. 703 ff.) als zweideutig hingestellt. Dieser Vorwurf ist um so un-
verständlicher, wenn man bedenkt, daß Lloyd George bei seiner Rede die
Friedensresolution des deutschen Reichstages ganz beiseite geschoben hat,
obwohl diese, auf die sich ja der Reichskanzler in seinen Ausführungen
selbst bezog, mit der Rede Dr. Michaelis' zusammen ein untrennbares
Ganzes bildet. Sind doch diese beiden Enunziationen der Reichsregierung
und der Reichsvertretung der Ausdruck des einheitlichen Willens des deut-
schen Volkes in der Friedensfrage. Es fällt auf, daß man in den Entente-
staaten den deutschen Reichstag, welcher auf Grund des allgemeinen, gleichen,
direkten und geheimen Wahlrechtes gewählt ist, ebenso ignoriert wie die
ganze soziale Gesetzgebung, in der Deutschland den westlichen Ländern weit
voraus ist. Gerade diesen Beschluß des deutschen Reichstages durfte Lloyd
George nicht ignorieren, wenn er als einer der Vertreter jener Mächte,
welche den Gedanken der Demokratie stets in den Vordergrund stellen, mit
Ernst die Stellung Deutschlands zur Friedensfrage behandeln wollte. In
voller Uebereinstimmung haben Reichskanzler und Reichstag erklärt, daß
Deutschland einen Verteidigungskrieg führt, daß das deutsche Volk einen
ehrenvollen Frieden im Wege der Verständigung und des Ausgleiches sucht,
welcher die Grundlage für eine dauernde Versöhnung der Völker bieten soll.
Reichskanzler und Volksvertretung haben feierlich erklärt, daß das deutsche
Volk keine gewaltsamen Eroberungen suche und wirtschaftliche Absperrungen
sowie Verfeindungen der Völker nach dem Kriege perhorresziere. Wo in diesen
beiden ihrem Wesen nach sich deckenden Erklärungen Zweideutigkeiten liegen
sollen, ist mir unerfindlich. Jedenfalls aber glaube ich, Lloyd George auf
seine Rede mit der Frage antworten zu müssen, was man denn eigent-
lich auf der Ententeseite will. Das, was man bei unserer Mächte-
gruppe will, erhellt aus den sattsam bekannten Wiener Enunziationen und
aus den früher erwähnten Kundgebungen des deutschen Volkes, aus denen
die vollständige, bis in das kleinste Detail reichende Uebereinstimmung
lwischen Wien und Berlin hervorgeht. Das, was der Reichskanzler und
er Reichstag erklärt haben, ist das, was ich bereits vor Monaten als den
ehrenvollen Frieden bezeichnet habe, den die Wiener Regierung anzunehmen
bereit ist und durch den sie eine dauernde Versöhnung der Völker erstrebt
und erhofft. Aber auch darüber, was jenseits dieser Grenze liegt, besteht
zwischen Wien und Berlin vollständige Uebereinstimmung. Niemals werden.
wir in einen Frieden willigen, der für uns nicht ehrenvoll wäre. Will
die Entente auf dieser deutlich genug umschriebenen Grundlage nicht in
Verhandlungen mit uns eintreten, dann werden wir diesen Krieg weiter-
führen und werden kämpfen bis zum äußersten. Mir ist es gleichgültig,
ob man in diesem Betenntnis ein Zeichen der Schwäche oder der Stärke
sehen will. Mir gilt es nur als ein Zeichen der Vernunft und Sittlichkeit,
die sich dagegen sträuben, einen Krieg weiterzuführen, dessen Fortführung
sich bereits heute als sinnlos darstellt. Da ich von der Ueberzeugung durch-
drungen bin, daß es der Entente nie gelingen wird, uns niederzuwerfen,
und da wir in unserer Verteidigungsstellung nicht die Absicht haben, Gegner
du zerschmettern, wird dieser Krieg früher oder späler in einen Verstän-
igungsfrieden münden müssen. Hieraus folgt aber für mich der natürliche
Schunt, daß die weiteren Opfer und die der ganzen Menschheit auferlegten
Leiden zwecklos sind, und daß es im Interesse der ganzen Menschheit not-
wendig ist, baldmöglichst zu diesem Verständigungsfrieden zu gelangen.