Bie österreichisch-ungarische Monarchie. (September 26.) 181
nichts zu verschweigen und nichts zu beschönigen. Das Budget biete ein
Bild von höchstem Ernst. Die erbitterten Kämpfe der Monarchie um ihre
Existenz fänden hier ihren ziffermäßigen Niederschlag. Wenn man bedenkt,
welche Widerstandskraft die Volkswirtschaft im Kriege gezeigt habe, könne
man sich der Hoffnung hingeben, daß, wenn der ernste Wille zur Ordnung
vorhanden sei, sich auch der Weg dazu finden werde. Der Minister ver-
weist hierbei auf die großen Erfolge der bisherigen Kriegsanleihen, wobei
das Hauptverdienst der Bevölkerung gebühre, aber auch den Kreditorgani-
sationen. In der Tatsache, daß die Kriegsanleihen in den weitesten Schichten
der Bevölkerung untergebracht sind, erblickt der Minister den Anker für
ihre Sicherheit. Was die Frage der Vermögensabgabe betreffe, so werde
sie im Finanzministerium sehr eingehend studiert; die Sache müsse aber
sehr gründlich erwogen werden. Man dürfe sich nicht überschwenglichen
oder unmöglichen Hoffnungen hingeben. Hier komme auch das Verhältnis
zu Deutschland und dem ganzen übrigen Ausland in Betracht. Zur Deckung
des Abganges im Betrage von 800 Millionen werde er zu neuen Steuern
greifen. Auf dem Gebiete der direkten Steuern, welche während des Krieges
bereits eine ausgiebige 57 proz. Erhöhung erfuhren, sei vorläufig ein neuer
Eingriff schwer möglich. Der Minister kündigt eine Erhöhung der Effektensteuer,
eine neue Weinsteuer, eine Erhöhung der Zuckersteuer, ferner eine Kohlensteuer,
eine Erhöhung der Eisenbahntarife, sowie eine Reihe von Maßnahmen auf
dem Gebiete der Gebühren an; die zum Teil im wesentlichen die Besitzenden
treffen werden. Er bespricht die Inanspruchnahme der Notenbank und stellt
fest, daß diesbezüglich die Verhältnisse relativ günstig liegen, besonders
wenn man berücksichtige, daß zur Finanzierung der Kriegsanleihen die
Notenbank und die Kriegsdarlehnskassen fast gar nicht in Anspruch ge-
nommen, und daß für die Kriegsanleihen keine neuen Noten ausgegeben
wurden. Der Minister betont die Notwendigkeit der größten Sparsamkeit,
um einer weitern Ausdehnung des Notenumlaufs vorzubeugen, sowie mit
Rücksicht auf die Entwicklung der auswärtigen Wechselkurse. Er sei über-
zeugt, daß die nach Wiederherstellung des Friedens in Angriff zu nehmende,
auf die Beseitigung des Disagio der Währung gerichtete planmäßige Tätigkeit
in den wieder zur Geltung kommenden natürlichen Kräften der heimischen
Volkswirtschaft die wirksamste Unterstützung finden werde. An die Wieder-
herstellung des Geldwesens werde erst nach Friedensschluß geschritten werden
können, aber sie werde eine der vornehmsten Sorgen der Regierung und
des Parlaments bilden. Der Minister wendet sich sodann gegen die Aus-
artungen des Effektenhandels beim Börsenspiel und erklärt, man möchte der
laxen Auffassung entgegentreten, die in der Beteiligung am Börsenspiel
nichts Bedenkliches finde. Nach seiner Auffassung sei jeder, der sich am
Börsenspiel beteilige, mit einer levis macula behaftet. Um den Ausschrei-
tungen und Uebertreibungen der Börse entgegenzutreten, gebe es kein anderes
Mittel als Krediteinschränkung. Der Minister betont schließlich die Bereit-
willigkeit, alle Maßnahmen zur Förderung der Produktion zu unterstützen.
Am 2. Okt. werden die Finanzvorlagen nach Beendigung der
ersten Lesung dem Budgetausschusse überwiesen.
Aus der Debatte hat sich ergeben, daß die Regierung für die Be-
willigung des Budgetprovisoriums vorerst noch keine Mehrheit besitzt. Minister-
präsident Dr. Ritter v. Seidler beginnt deshalb am 3. Besprechungen mit
Vertretern des Polenklubs, deren Ergebnis (s. S. 189) die Polen veran-
laßt, für das Budgetprovisorium zu stimmen.
26. Sept. (Böhmen.) Radikalifierung der Tschechen.
Der bisherige Jungtschechenklub, die Nationalsozialen und die Gruppe
Stransky vereinigen sih zu einem gemeinsamen Klub, der den Namen