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3.—5. Dez. (Oesterr. Abg.-Haus.) Ausgleichsprovisorium.
Die zweite Lesung der Vorlagen betr. das Ausgleichsprovisorium bis
um 31. Dez. 1919 (s. S. 205) eröffnet Handelsminister Frhr. v. Wieser mit
solgenden Ausführungen: Die bisher zwischen Oesterreich und Ungarn ge-
troffenen wirtschaftlichen Vereinbarungen bedeuten eine wichtige Vorarbeit,
damit die beiden Regierungen sich wirksam an den Friedensverhandlungen
beteiligen können. Durch die beharrliche Tapferkeit unserer Truppen haben
wir Außerordentliches errungen. Wir haben den eisernen Ring, der uns
einschnüren sollte, überall aufgehalten. Wir wollen nun auch die wirtschaft-
lichen Früchte dieses beharrlichen militärischen Ringens ernten. Es ist auch
notwendig, bevor wir mit den Gegnern über diese Dinge verhandeln, zu-
nächst mit unseren Freunden zu verhandeln, wozu gleichfalls das Ueber-
einkommen der beiden Regierungen eine notwendige Vorarbeit ist. Mit
Rücksicht auf die Rückwirkung des Friedensvertrages auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse beider Staaten, sowie auf die Verhältnisse unserer Freunde,
war es nicht möglich, das zwischen beiden Regierungen getroffene Abkommen
zur endgültigen gesetzlichen Festlegung vorzulegen. Der Minister wendet
sich gegen das Bedenken bezüglich der verfassungsmäßigen Erledigung des
endgültigen Ausgleichs und erklärt, daß die vom Ausschuß vorgenommene
Aenderung des Textes zur Zerstreuung dieser Bedenken auch von der un-
garischen Regierung in den Text der ungarischen Fassung ausgenommen
wurde, so daß die vollständige Uebereinstimmung der Texte Oesterreichs
und Ungarns hergestellt ist. Alle verfassungsmäßigen Bürgschaften seien
gegeben, daß das Parlament zur vollen Aussprache gelange. (Beif.)
Abg. Spincic (Südslaw.) und Abg. Dr. Fieêdler (Tscheche) legen
den ablehnenden Standpunkt ihrer Parteigenossen gegen den Dualismus
sowie gegen die Vorlagen dar.
Am 5. werden die drei Gesetzesvorlagen in zweiter und dritter Lesung
angenommen. § 1 des Gesetzes betr. die provisor. Regelung der wechsel-
seitigen Handels- und Verkehrsbeziehungen zwischen den im Reichsrate
vertretenen Königreichen und den Ländern der ung. Krone wird in nament-
licher Abstimmung mit 188 gegen 166 Stimmen angenommen.
Die Abg. Schuerff, Langenhan und Gen. bringen eine von 90 deutsch-
nationalen Abg. unterzeichnete Anfrage an den Ministerpräsidenten und
den Minister für Landesverteidigung ein über das Verhalten der
Tschechen im Weltkriege. Die Anfrage, welche 600 Seiten Maschinen-
schrift stark ist, enthält das gesamte über die Frage gesammelte Material.
4. Dez. Kaiser Karl empfängt die Delegationen.
Zunächst wird die un garische, hierauf die österreichische Delegation
in feierlicher Form in der Hofburg empfangen. Auf die Huldbigungs-
ansprachen der Präsidenten erwidert Kaiser Karl mit folgender (gleich-
lautender) Ansprache: Seitdem Ich durch Gottes Gnaden den Thron Meiner
Väter bestiegen habe, versammelt sich heute zum ersten Male die Delegation
des Reichstages (Reichsrates) zur Erledigung der ihrer harrenden Aufgaben.
Die Versicherung unwandelbarer Treue und Ergebenheit, die Sie, M. H.,
Mir heute durch Ihren Präsidenten zum Ausdrucke gebracht haben, nehme
Ich mit aufrichtiger Befriedigung entgegen und entbiete Ihnen dankbaren
Herzens Meinen kaiserlichen Gruß. #
Vor kurzem hat sich der Tag gejährt, an dem es dem Allmächtigen
gefallen hat, Meinen Erlauchten Vorgänger, S. Maj. den Kaiser und König
Franz Joseph 1. zu sich zu berufen. In bitteren und in frohen Stunden
hat der verewigte Herrscher durch zwei Menschenalter in beispielloser Selbst-
Europäischer Geschichtskalender. LVIII#. 14