Großbrikannien. (März 28.) 279
Stimmen angenommen. Gemeinden mit 120—190000 sollen zwei, solche
von 190000—260000 drei Abgeordnete uff. erhalten. Dadurch würden etwa
60 Städte ihre besondere Vertretung verlieren. Um kleine Minderheiten
vor dem völligen Ausschluß bei den Wahlen zu schützen, sei die Einführung
der Verhältniswahl vorgeschlagen. Ueber alle diese Punkte sei in der
Kommission Einstimmigkeit erzielt worden. Dagegen seien über das
Frauenwahlrecht die Ansichten geteilt gewesen; doch habe sich die Mehr-
heit dafür ausgesprochen. Und zwar werde vorgeschlagen, daß jede Frau,
sofern sie die für das Wahlrecht des Mannes notwendigen Eigenschaften
besitzt, oder die mit einem Manne verheiratet ist, der das Wahlrecht besitzt,
wahlberechtigt sein soll, falls sie 30 oder 35 Jahre alt ist. Die Frage des
Frauenwahlrechts sei höchst schwieriger Natur. Er selbst, und wie er glaube,
auch mancher andere, stehe nicht mehr auf dem Standpunkt, den er vor dem
Krieg eingenommen habe. Seinen Widerstand gegen das Frauenwahlrecht
habe er vor Jahren damit begründet, daß die Frauen selbst für ihre Berufung
zu politischer Betätigung wirken müßten. Dies hätten sie jetzt, während
des Krieges getan (Beifall). Wie wäre es möglich, den Krieg zu bestehen
ohne sie? Es gebe kaum einen Dienstzweig der nationalen Verteidigung,
in dem sie sich nicht ebenso fleißig und erfolgreich betätigt hätten wie die
Männer. Wohin man blicke, überall sehe man sie eifrig und ausdauernd
und, ohne Ansprüche auf Grund ihres Geschlechts zu stellen, eine Tätigkeit
ausüben, die vor drei Jahren ausschließlich den Männern zugewiesen galt.
Zudem müsse man bedenken, daß nach dem Kriege das Problem der Mit-
arbeit der Frau bei der allgemeinen Neuordnung zu lösen sei, und daß
es unbillig und untunlich wäre, den Frauen nicht die Möglichkeit und das
Recht zu gewähren, ihre Stimmen dabei direkt geltend zu machen. Auch
habe der abscheuliche Kampf um das Frauenwahlrecht seit Kriegsbeginn
aufgehört; so könne niemand sagen, daß man jetzt einem Zwange nach-
gebe. — Salter (Kons.) stellt den Gegenantrag, die Wahlrechts-
reform während des Krieges auf die Vorbereitung eines neuen Wahlrechts-
registers und auf die Bereitstellung von Mitteln, um die Stimmabgabe
der Soldaten und Seeleute in Dienst zu ermöglichen, zu beschränken. Es
sei zu befürchten, daß die geplante Umgestaltung des Wahlrechts zu inneren
Zwistigkeiten führe, die auf die Verbündeten und die Truppen an der
Front einen ungünstigen Einfluß ausüben könnten. Den Kommissionsvor-
schlägen stehe er mit den größten Bedenken gegenüber. Das Frauenwahl-
recht würde Uneinigkeit in die Familien tragen. Auch könne eine Aenderung
des Wahlrechts für das Unterhaus nicht vorgenommen werden, wenn nicht
auch die Zusammensetzung des Oberhauses einer Durchsicht unterzogen
werde. — Premierminister Lloyd George erklärt, die Regierung nehme
die Kommissionsvorschläge an. Nur müsse er zwei Einschränkungen machen.
Einmal mit Bezug auf die Vorschläge betr. der Verhältniswahl, die nach
seiner Auffassung für die Regierung schwer annehmbar seien, sodann
mit Bezug auf die Frauenwahlrechtsfrage, deren Lösung die Regierung
dem Hause überlassen werde. Der Krieg habe zweifellos die Auffassung
der Allgemeinheit bedeutsam verändert, und es wäre eine Beleidigung
wenn man den Frauen, die im Kriege ihre Pflicht erfüllt haben, bei der
Neuordnung ihrer Verhältnisse in der Friedenszeit mitzustimmen verweigern
würde. Er hoffe, daß der Geist der Einigkeit, der sich während des Krieges
bewährt habe, auch bei der Lösung der Wahlrechtsfrage seinen Einstuß
ausüben werde. — Long (Kons.) erklärt, er billige zwar nicht alle
Vorschläge, aber er wolle doch lieber dafür stimmen, als diese „goldene“
Gelegenheit, diese Reform durchzuführen, vorübergehen lassen, die sich nie-
mals wieder so günstig wiederholen werde. Er fordere deshalb seine Partei-