Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Frantreich. (Januar 10.) 379 
Reorganisation Europas, Bürgschaft für ein dauerhaftes Regime, das so- 
wohl auf die Achtung der Nationalität und die Rechte aller kleinen und 
großen Völker begründet ist, wie auf territoriale Abkommen und inter- 
nationale Regelungen, welche geeignet sind, die Land-- und Seegrenzen 
gegen ungerechtfertigte Angriffe zu schützen, die Zurückgabe der Provinzen 
und Gebiete, die früher den Alliierten durch Gewalt oder gegen den Willen 
ihrer Bevölkerung entrissen worden sind, die Befreiung der Italiener, 
Slawen, Rumänen, Tschechen und Slowaken von der Fremdherrschaft, die 
Befreiung der Bevölkerungen, welche der blutigen Tyrannei der Türken 
unterworfen sind, und die Entfernung des osmanischen Reiches aus Europa, 
weil es zweifellos der westlichen Zivilisation fremd ist. Die Absichten seiner 
Majestät des Kaisers von Rußland bezüglich Polens sind klar durch die 
Proklamation kundgegeben, welche er an seine Armeen gerichtet hat. 
Wenn die Alliierten Europa der brutalen Begierde des preußischen 
Militarismus entreißen wollen, so war es selbstverständlich niemals ihre 
Absicht — wie man vorgegeben hat —, die Vernichtung der deutschen 
Völker und ihr politisches Verschwinden anzustreben. Was sie vor allem 
wollen, ist die Sicherung des Friedens auf der Grundlage der Freiheit 
und Gerechtigkeit, der unverletzlichen Treue, welche die Regierung der 
Verein. Staaten stets beseelt hat. Die Alliierten, einig in der Verfolgung 
dieses hohen Zieles, sind jeder einzeln und gemeinsam entschlossen, mit 
ihrer ganzen Kraft zu handeln und alle Opfer zu bringen, um den Streit 
zu einem siegreichen Ende zu führen, von welchem ihrer Ueberzeugung nach 
nicht bloß ihr eigenes Heil und ihre Wohlfahrt, sondern die Zukunft der 
Zivilisation selbst abhängt. 
Gleichzeitig übergibt Ministerpräsident Briand dem Botschafter 
folgende Note der belgischen Regierung: Die Regierung des Königs, 
die sich der vom franz. Ministerpräsidenten dem Botschafter der Verein. 
Staaten überreichten Antwort anschließt, legt Wert darauf, den Gefühlen 
der Menschlichkeit, die den Präsidenten der Verein. Staaten zur Absendung 
der Note an die kriegführenden Mächte bewogen haben, ihre besondere 
Anerkennung abzustatten, und sie würdigt in hohem Maße die Freundschaft, 
zu deren wohlwollendem Dolmetscher er sich Belgien gegenüber gemacht hat. 
Ebensosehr wie Mr. Woodrow Wilson wünscht sie den gegenwärtigen Krieg 
möglichst bald beendigt zu sehen; aber der Präsident scheint zu glauben, 
daß die Staatsmänner der beiden entgegengesetzten Lager dieselben Kriegs- 
ziele verfolgen. Das Beispiel Belgiens zeigt leider, daß dies nicht der Fall 
ist. Belgien hat ebenso wie die Ententemächte niemals Eroberungspläne 
gehabt. Die barbarische Weise, in der die deutsche Regierung das belgische 
Volk behandelt hat und noch behandelt, gestattet nicht, anzunehmen, daß 
Deutschland es sich angelegen sein lassen wird, in Zukunft das Recht der 
schwachen Völker zu gewährleisten, das es, seitdem der von ihm entfesselte 
Krieg Europa heimsucht, unaufhörlich mit Füßen getreten hat. Anderseits 
hat die Regierung des Königs mit Vergnügen und Vertrauen die Ver- 
sicherung verzeichnet, daß die Verein. Staaten mit Ungeduld darauf warten, 
um an Maßnahmen mitzuarbeiten, die nach dem Frieden ergriffen werden 
sollen, um die kleinen Nationen gegen Gewalt und Unterdrückung zu schützen. 
Vor dem Ultimatum hat Belgien nur danach gestrebt, mit allen seinen 
Nachbarn in guten Beziehungen zu leben, es betätigte mit einer peinlichen 
Loyalität jedem gegenüber die Pflichten, die ihm die Neutralität auferlegte. 
Wie wurde es von Deutschland für das Vertrauen belohnt, welches es ihm 
bewies? Von einem Tag zum andern ohne triftigen Grund wurde seine 
Neutralität verletzt und sein Gebiet überfallen. Der deutsche Reichskanzler 
hat, als er diese Verletzung des Rechtes und der Verträge im Reichstag
	        
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