Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Frankreit. (März 17. 18.) 393 
Der äußere Anlaß für den Rücktritt des Kriegsministers (seit Dez. 1916) 
ist seine persönliche Unbeliebtheit bei dem durch sein autokratisches Auf- 
treten gereizten Parlamente. Gleichzeitig kommt darin die Enttäuschung 
des. Landes über das Ausbleiben der von der Tätigkeit des bewährten 
Heerführers und Organisators erhofften Erfolge zum Ausdruck. Auch scheint 
Briand (freilich vergebens) versucht zu haben, sein Kabinett durch Preis- 
gabe des Kriegsministers zu retten. 
17. März. Rücktritt des Kabinetts Briand. 
Da Versuche Briands, das Kabinett entsprechend den in der Kammer 
bestehenden Wünschen durch Heranziehung neuer Mitarbeiter zu erweitern, 
scheitern und andererseits der Ministerrat der Ansicht ist, daß es die Um- 
stände erheischen, Poincaré jede Freiheit zu lassen, so über die Lage zu ent- 
scheiden, wie er es für die Interessen der nationalen Verteidigung am 
besten halte, überreicht Briand (Ministerpr. seit 3. Okt. 1915) dem Prä- 
sidenten das Rücktrittsgesuch des Gesamtministeriums. 
Der „Temps“ bemerkt dazu: Es sei nicht erstaunlich, daß das 
Kabinett nach einigen Konversationen und Ueberlegungen in seiner Gesamt- 
heit zurücktrete. Diese Lösung sei zugleich am einfachsten und am korrektesten. 
Die Umformung des Ministeriums konnte nicht immer fortgesetzt werden, 
bis zum Ende des Krieges. Es sei wenigstens wünschenswert, daß der 
Präsident wieder einmal Gelegenheit bekomme, die Vertreter des Parla- 
ments zu Rate zu ziehen über die wirklichen Wünsche der Volksvertretungen. 
Diese Beratungen müßten sich vor allen Dingen auf die Beziehungen der 
Regierung zu den verschiedenen Zweigen der Verwaltung und der öffent- 
lichen Meinung erstrecken. Es habe sich eine Art von Feiodseligkeit zwischen 
der militärischen und der Zivilverwaltung herausgebildet, die die Zu- 
sammenarbeit hindere. 
Die Ministerkrise ist ein Symptom des allgemeinen Unbehagens über 
die Gesamtlage. 
18. März. Ribot mit der Kabinettsbildung betraut. 
Nach Besprechungen mit dem Senatspräsidenten Dubost, Briand und 
dem Kammerpräsidenten Deschanel, der die Kabinettsbildung ablehnt, be- 
auftragt Poincaré den bisherigen Finanzminister Ribot, ein „Kabinett 
der patriotischen Einigkeit“ zu bilden. 
18. März. Kundgebung der Sozialisten für Rußland. 
Die sozialistische Gruppe des Parlaments richtet an die rus- 
sischen Sozialisten folgendes Manifest: Die franz. Sozialisten be- 
grüßen mit Begeisterung die Revoluntion in Rußland. Wie die franz. Re- 
volution, ist sie das Werk des Volkes, des Parlaments und der Armee. 
Indem sie sich entschlossen neben das Parlament stellt, das alte Regime 
stürzt und die politischen Gefangenen befreit, stärkt die Duma die Einig- 
keit und Einheit der russischen Nation. Sie hat die Geschicke des Landes 
in die Hände des Volkes gelegt. Durch diesen großen Akt hat sie bekräftigt, 
daß aus dem Kriege die politische Freiheit der Völker und die Unabhängig- 
keit der Nationen erstehen müssen. Möge diese Revolution, von der Sie 
immer als eine Bedingung zum demokratischen Fortschritt und zum end- 
gültigen Frieden sprachen, dem Proletariat und den Sozialisten Deutsch- 
lands und Oesterreich-Ungarns den einzuschlagenden Weg vorzeichnen. Jetzt 
stehen sie vor der Entscheidung. Die russischen Sozialisten, die lange viel 
gelitten und gekämpft haben, haben sich mit allen ihren Kräften dem Werke 
der Befreiung angeschlossen. Sie hatten innigen Anteil am Ausschusse und 
an der Revolutionsregierung. Sie werden ihre ganze Kraft zu ihrer Ver-
	        
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