Frankreich. (August 2.) 429
von ihren Verbündeten zu trennen sucht, indem man sie über die wahren
Gefühle der franz. Demokratie täuscht. Was will der Kanzler? Er sucht
die Schwierigkeiten zu verbergen, die er empfindet, um die Kriegsziele
Deutschlands festzusetzen und die Bedingungen, unter denen er Frieden
machen würde. Er sucht besonders die Aufmerksamkeit von der schrecklichen
Verantwortung abzulenken, die auf dem Gewissen des Deutschen Kaisers
und seiner Ratgeber lastet. Am Tage nach der Veröffentlichung der Be-
schlüsse, die am 5. Juli in der in Potsdam abgehaltenen Beratung (s. S. 325)
gefaßt wurden, wo alle Konsequenzen des an Serbien abzusendenden
Ultimatums ins Auge gefaßt wurden, des Ultimatums, aus dem der Krieg
entstehen mußte, am Tage nach der Veröffentlichung versucht der Kanzler
diese Ablenkung. Es ist eine gewisse Unverschämtheit, wenn man derartige
Verantwortung hat, Rechenschaft über unsere Absichten zu verlangen. Ohne-
hin wenden wir uns nicht an Deutschland, sondern an alle diejenigen, die
als Zeugen oder Mitwirkende dieses Kampfes, den wir seit drei Jahren
aushalten, wissen, daß im Grunde der Seele des franz. Volkes eine tiefe
Anhänglichkeit an die Grundsätze der Gerechtigkeit, an die Achtung vor dem
Völkerrecht und, ich kann es sagen auf die Gefahr hin, von unseren Feinden
nicht verstanden zu werden, an wahre Großmut lebt.
Die Erklärung wird mit großer Aufmerksamkeit angehört und findet
zu wiederholten Malen den einmütigen Beifall der Kammer. Es folgt keine
Erörterung. (Die Erwiderung des „WTB.“ #. Tl. 1 S. 738 f.)
2. Aug. Veränderungen im Ministerium.
Marineminister Admiral Lacaze und Unterstaatssekretär für die
Durchführung der Blockade Denys Cochin treten zurück. Der Minister-
präsident hat, um einer für die Regierung gefährlichen Parlamentsdebatte
über die Folgen des U.-Bootkrieges vorzubeugen, sie veranlaßt, ihre Demission
zu geben. Am 10. wird Abg. Charles Chaumet (Rad.), Vorsitzender der
Marinekommission der Kammer, zum Marineminister ernannt. Gleichzeitig
beschließt der Ministerrat die Schaffung eines Unterstaatssekretariats der
Marine, das J. L. Dumesnil anvertraut wird. Am 17. wird Albert
Metin zum Unterstaatssekretär für Blockade ernannt.
2. Aug. (Kammer.) Friedensfrage.
Die Kammer verhandelt die Interpellationen Renaudel (Soz.) und
Pugliesi-Conti (Nat.) über die allgemeine Politik der Regierung. Bei
Begründung seiner Interpellation erklärt Abg. Renaudel, Frankreich stehe
heute am Anfang des vierten Kriegsjahres den gleichen schrecklichen Um-
ständen wie 1914 gegenüber und sehe immer noch kein Kriegsende ab. Die
jetzige wie die vorhergehende Regierung ermangelten der Hellsichtigkeit. Die
franz. Soz. seien immer für den Frieden ohne Annexionen und Eroberungen
eingetreten. Die neue juristische Organisation müsse den Frieden schaffen.
Dies sei an sich schon eine Niederlage für Deutschland, denn sie bedeutet
den Bankerott der Theorien der Mittelmächte. Ribot sei derjenige Staats-
mann, der seit dem Kriegsausbruch der Kammer das größte Vertrauen
einflöße. Aber wenn man rechtzeitig Vorkehrungen getroffen hätte, würde
man sich heute angesichts der feindlichen Vorschläge nicht in dem Zustand
der Inferiorität befinden. Die franz. Regierung habe sich durch die Friedens-
anerbietungen der Mittelmächte überraschen lassen, sie hätte ihre Friedens-
bedingungen darlegen sollen. Die Grundlage für den Weltfrieden liege nicht
in territorialen Fragen, sondern in der juristischen Organisation der
Nationen. Graf Czernin sei zu dieser Formel gekommen. Warum benutze
man das nicht, um den Feind zu nötigen, die Maske abzunehmen? An-
gesichts eines Manövers wie das des deutschen Reichskanzlers (s. Bd. 1