Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

454 frankreich. (Oktober 12.) 
die sich stets rentiere. Dies werde die Charte der modernen Bölker sein. 
L. weist auf die Behauptung hin, durch die die deutsche Regierung sich be- 
mühe, die Moral des Volkes zu heben, indem sie ihm nämlich vormache, 
daß die Alliierten Deutschland vernichten wollten. Er schließt seine Rede: 
So ist in dem langen Kriege die politische Tätigkeit gleichwertig der 
militärischen Tätigkeit, und es sind die Regierungen so gut wie die 
Armeen, die die Völker zur Niederlage oder zum Siege führen. — Abg. Jac- 
ques Chaumié kritisiert hierauf das diplomatische Personal, seine Er- 
gänzung und seine Zusammensetzung. Das Personal der Botschaften und 
Konsulate sei zu sehr mit gesellschaftlichen und bürokratischen Angelegen- 
heiten beschäftigt. Die Konsuln sollten eine Bezahlung erhalten, die ihnen ein 
ihrer Stellung entsprechendes Auftreten gestattet. — Abg. Montet (Soz. 
ist der Ansicht, daß nicht die diplomatischen Agenten zu verurteilen seien. 
sondern die Richtlinien, die sie erhielten. Wir kennen nicht die Fehler, die 
uns die jahrhundertalte Freundschaft der Türkei verscherzen ließen, die 
sie in den Krieg gegen uns eintreten ließen, die unsere schwankende Polinik 
gegenüber der Türkei kennzeichneten, die Bulgarien in den Krieg eintreten 
ließen und die unsere schwankende Politik gegenüber Griechenland kenn- 
zeichneten. Die Gesandten selbst sind ungenügend unterrichtet. M. verurteil! 
die Geheimpolitik und verlangt, daß ein demokratischer Geist in die aus- 
wärtige Politik Frankreichs einziehen solle. 
Briand erklärt, er betrachte es als seine Pflicht, gewisse übertriebene 
Kritiken nicht unwidersprochen zu lassen. Die deutschen Diplomaten hätten 
eine übereifrige Tätigkeit entfaltet, sich aber jedesmal bloßgestellt, so oir 
sie sich in Unternehmungen eingelassen hätten, die der Krieg nicht recht- 
fertige. Was die erzielten Ergebnisse anlange, so hätten sich beinahe alle 
Länder der Erde nach und nach der Sache der Alliuerten angeschlossen. 
Das geschah nicht spontan, und es ist ungerecht zu sagen, die franz. Diplomatie 
sei nicht bei der Hand gewesen. Was Sie in Kriegszeiten verlangen können, 
das ist: Leitung der Diplomatie durch die Regierung. Die franz. Diplomatie 
hat sich der Sache, die Frankreich zu verteidigen hatte, würdig gezeigt. 
Br. schließt mit der Feststellung, daß es nötig sei, die Lage der Diplomaten 
und Konsuln aufzubessern. 
Der Minister des Aeußern Ribot schließt sich den Worten Leygues 
an. Wir leben in einer Welt, wo weder im Lande noch in der Regierung 
Schwäche herrschen darf. Diplomatie und Heer trennen sich nicht vonein- 
ander; die Einigkeit unter den Verbündeten ist unentbehrlicher denn je. 
und unser Zusammenstehen ist vollkommen. Auch R. zollt den franz. Diplo- 
maten Anerkennung und betont die Verdienste der Botschafter in London. 
Rom und Washington und erkennt die Notwendigkeit an, die Lage der 
Diplomaten zu verbessern. Sodann fährt er fort: Da Deutschland nicht 
mit den Waffen siegen kann, so hat es nur mehr eine Hoffnung, die, die 
Verbündeten zu spalten, sie mit den Machenschaften zu übertölpeln, denen 
es sich hingibt. Gestern war es Oesterreich, das sich bereit erklärte, Frieden 
zu schließen und unsere Wünsche zu befriedigen, das aber absichtlich Italien 
beiseite ließ, da es weiß, daß, wenn wir seinen trügerischen Worten Ge- 
hör gäben, Italien morgen seine Freiheit zurücknähme und der Gegner 
Frankreichs würde, das es vergessen und verraten hätte. Wir haben uns 
nicht darauf eingelassen. Gestern war es auch noch Deutschland, welches 
zuflüstern ließ, daß, wenn die franz. Regierung eine mittelbare oder un. 
mittelbare Unterredung anknüpfen wollte, wir hoffen könnten, daß man 
uns Elsaß-Lothringen zurückgeben würde. Die Falle war zu grob, als 
daß man sich darin fangen ließ. (S. dazu Tl. 1 S. 906.) Da hat Deutsch- 
land alsdann, allein geblieben, die Maske abgeworfen und diese volltönende
	        
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