Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

krankreich. (November 12.) 467 
der geeignete Moment gekommen ist. Ich möchte wünschen, Ihnen ein 
Dokument vorzulesen, das ich letzten Januar der Konferenz in Rom über 
die Gefahren und Möglichkeiten an der ital. Front vorlegte, damit Sie es 
an den Tatsachen beurteilen, die sich bisher ereigneten. Nichts könnte 
Ihnen auf überzengendere Art beweisen, welche Vorteile die Entente sich 
entschlüpfen ließ mangels gemeinsamen Fühlens und Handelns. In diesem 
Augenblick hängt der Umfang, in dem wir verhindern können, daß die ital. 
Niederlage sich zu einer Katastrophe entwickelt, von der Schnelligkeit und 
der Ausgiebigkeit ab, mit der wir mit der Vergangenheit brechen und zum 
ersten Male in diesem Krieg die Einheit aller alliierten Fronten uns als 
Notwendigkeit vor Augen führen. Ich glaube, daß wir doch endlich diese 
große Lektion gelernt haben. Hätten wir diese Lehre vor drei Monaten 
gekannt, was würde das für einen Unterschied ausgemacht haben. Wir 
haben in der letzten Zeit kräftig danach getrachtet, die Lage zu verbessern 
durch neue Zusammenkünfte und Beratungen und zweisellos ist auch eine 
bedeutende Besserung zustande gekommen. Als eine Folge der Zusammen- 
kunft in Rom und der seitdem fortdauernden Beratungen sind Anordnungen 
getroffen worden, die den Zeitraum, in dem Hilfe nach Italien geschickt 
werden kann, sehr verkürzt haben. Sollen sich die Tragödien von Serbien 
und Rumänien nicht wiederholen — und ich bin überzengt, daß es nicht 
der Fall sein wird, trotz der sehr beunruhigenden Lage —, dann wird es 
deshalb geschehen, weil die Vorbereitungen, die als das Ergebnis der Zu- 
sammenkunft in Rom aufzufassen sind, einen wesentlichen Einfluß auf die 
Lage ausüben. Wenn aber eine wirkliche Fühlung und Zusammenarbeit 
zwischen den militärischen Kräften der Alliierten bestanden hätten, dann 
würden wir jetzt in Italien nicht damit beschäftigt sein, das Unheil von 
unserm Bundesgenossen abzuwenden, sondern wir würden unsern Feinden 
das Unheil zuwenden. Deshalb sind wir zu dem Entschluß gekommen, an 
die Stelle des hinderlichen und schwerfälligen Mechanismus der Zusammen- 
künfte einen dauernden Rat zu setzen, dessen Aufgabe es sein soll, alle unfre 
militärischen Operationen zu überwachen, um zu bestimmen, auf welche Weise 
die Hilfsmittel der Bundesgenossen am besten angewandt werden können. 
Was mich betrifft, so war ich zu der festen Ueberzeugung gekommen, daß, 
wenn nichts geändert würde, ich nicht weiter die Verantwortung für die 
Leitung des Krieges übernehmen könnte, der zu einer Niederlage infolge 
Mangels an Einheit verurteilt wäre. Das Unglück Italiens kann noch die 
Allianz retten, weil wir nach meiner Ueberzeugung ohne dies keinen wirk- 
lichen Obersten Rat geschaffen hätten. Die nationalen und beruflichen Ueber- 
lieferungen, die Fragen des Ansehens und der Empfindlichkeit waren dazu 
angetan, unsere besten Absichten zu vereiteln. Niemand nahm persönlich 
die Schuld auf sich. Die Schuld war die natürliche Schwierigkeit, bei der 
Vielheit der Nationen und der voneinander unabhängigen Organisationen, 
die alle ihre individuellen Sonderzwecke verfolgten, ein einiges Zusammen- 
arbeiten zu erreichen, wie wenn sie ein einziges Volk bildeten. Nun, da 
wir diesen Rat geschaffen haben, ist es an uns, zu verwirklichen, daß die 
Einheit, die er vertritt, eine Tatsache und nicht ein Trugbild sei. Es ist 
möglich, daß die Autokratie besser geeignet ist, einen raschen Schlag zu führen; 
aber es ist doch die Freiheit, die das Bessere vertritt. Wir werden siegen; 
aber ich will so rasch wie möglich siegen. Ich will siegen mit dem Mindest- 
maß der erforderlichen Opfer. Ich will, wenn möglich, sehen, daß noch 
genug dieser prachtvollen jungen Leute, die für den Sieg kämpfen, leben, 
um die Früchte zu genießen. Die Einheit, nicht das Vorspiegeln der Ein- 
heit, sondern die wirkliche Einheit ist der einzige Weg, der sicherlich zum 
Siege führen wird. Die Größe der Opfer, die von den Völkern in allen 
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