Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Die ãsterreitisq·nugarise Monarchie. (April 2.—4.) 57 
der bestrebt wäre, sich in die inneren Angelegenheiten Rußlands einzumengen. 
In erster Reihe wünschen wir einer das Vertrauen des ganzen russ. Volkes 
besitzenden Regierung gegenüberzustehen, mit der wir einen ehrenvollen 
Frieden abschließen können. Wir wünschen, daß die russ. Nation dauernd 
die Segnungen der friedlichen Entwicklung genießen möge. (Lebh. Beif.) 
Die Abgg. Graf Albert Apponyi, Gabriel Ugron, Graf Theodor 
Batthyany, Graf Aladar Zichy, Vaszonyi und Gießwein geben 
ihrer Genugtuung über die Erklärung der Regierung und die Einmütigkeit 
des Hauses Ausdruck. Hierauf wird der Antrag des Präsidenten einstimmig 
angenommen. Ueber den Zeitpunkt, wann der verlesene Antrag auf die 
Tagesordnung gesetzt werden soll, wird das Haus seinerzeit entscheiden. 
Alle ung. Blätter betonen bei der Besprechung dieser Friedens- 
manifestation des Parlaments übereinstimmend, daß nicht die Freiheits- 
liebe selbst, sondern auch das eigene Interesse Ungarn lehre, den Sieg der 
russ. Freiheit zu wünschen. Der Antrag der Opposition, dem sich auch die 
Regierung und die Majorität des Abgeordnetenhauses angeschlossen habe, 
sei zugleich ein feierlicher und flammender Protest gegen die von den 
Feinden verbreitete Nachricht, als wollten die Mittelmächte mithelfen, den 
zarischen Absolutismus wiederherzustellen. Der einstimmige Beschluß be- 
weise, daß Ungarn seinen freiheitlichen Traditionen nicht untreu geworden 
sei. Ungarn werde niemals mithelfen, eines anderen Volkes Freiheit zu 
unterdrücken. Ungarn erwarte mit Zuversicht, daß das aufdämmernde 
Morgenrot der 5 Freiheit der jahrhundertelangen Nacht der russ. Tyrannei 
ein Ende machen werde. 
2. April. Das Kaiserpaar begibt sich ins deutsche Gr. Haupt- 
quartier. (Näheres s. Tl. 1 S. 391.) 
3. April. Kaiser Karl befiehlt die Umbenennung der k. u. k. 
Landwehr in k. u. k. Schützen. 
Dieser Befehl kennzeichnet die k. u. k. Landwehr nunmehr unzwei- 
deutig als Truppen erster Linie. 
4. April. (Wien.) Kranz-Prozeß. 
Im Prozeß gegen den vor kurzem von seiner Stelle zurückgetretenen 
Präsidenten der Allgemeinen Depositenbank in Wien, Dr. Joseph Kranz, 
den Direktor dieser Bank, Dr. Richard Freund, sowie die Kaufleute Eisig 
Rubel, Fritz Felix, Norbert Perlberger und Leo Schwarzwald 
wegen des Vergehens der Preistreiberei wird nach mehrtägiger Verhand- 
lung das Urteil gefällt. Die Anklage legte den Beschuldigten zur Last, daß 
sie unentbehrliche Bedarfsgegenstände, und zwar Bier, Rum, Marmelade 
und Himbeersaft, angekauft haben, um den Preis auf eine übermäßige Höhe 
zu treiben. Kranz wird zu 9 Monaten strengem Arrest und 20000 Kr. 
Geldstrafe, im Nichteinbringungsfalle zu weiteren 4 Monaten verurteilt, 
Freund zu 9 Monaten und 15000 Kr., ev. zu weiteren 4 Monaten, 
Rubel zu 3 Monaten und 10000 Kr., ev. weiteren 3 Monaten, und 
Felix zu 6 Monaten und 20000 Kr., ev. weiteren 4 Monaten. Gegen 
Perlberger und Schwarzwald wird das Verfahren ausgeschieden. 
In der Urteilsbegründung heißt es: Der Gerichtshof ist der 
Ueberzeugung, daß Kranz die Biereinkaufsstelle des Kriegsministeriums 
zum Vorwande nahm, um unzulässige preistreiberische Biergeschäfte zu 
machen. Der Tatbestand der nutzlosen Verteuerung der Ware in Speku- 
lationsabsicht liegt klar zutage. Mit allen Geschäften wurde in kurzer Zeit 
ein Gewinn von über einer Million erzielt. Als erschwerend wurde bei
	        
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