Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

618 Rußland. (Februar 28.—März 2.) 
zu befassen. Bisher habe der Block trotz seiner konsequenten Kriegsvolit:. 
keine Aenderung des Regierungsinstems durchsetzen können. Solche Aende- 
rung könne nur ein Kampf im Junern des Volkes herbeiführen. Die 
jetzige Regierung strebe dem Abgrund zu und werde auch den Block mi: 
hineinziehen. — Purischkewitsch Progr.) erklärt, die deutsch'reundlick. 
Partei gewinne in Rußland täglich Boden. Die Regierung sei demorali- 
siert und dränge Rußland dem Abgrund zu. — Der Führer der Progres- 
sistenfraktion Jefremow bezeichnet die Verhaftung der soz. Arbeiter 
(s. 9. Febr.) als einen Schlag ins Gesicht des ganzen ruff. Volkes. Die 
Lage des Landes sei katastrophal. Unter der Bevölkerung greife immer medr 
Hoffnungslosigkeit Plat. Die Zahl derjenigen, die an der Duma vorbe: 
Wege zur Beseitigung des Systems suchten, wachse täglich. 
Unter der Petersburger Arbeiterschaft herrscht bereits an diesem 
Tage starke Erregung. Von den Arbeiterverbänden ist eine große regie- 
rungsfeindliche Kundgebung vor dem Dumagebäude geplant, um gegen die 
Fortsetzung des Krieges zu protestieren, sie wird aber durch militärische 
Maßnahmen unterdrückt. 
Laut „Rußkoje Slowo“ sprachen die Ententegesandten vor der 
Wiedereröffnung der Duma bei dem Ministerpräsidenten Galitzin vor. um 
zu erklären, die Haltung der Regierung gegen die Forderungen der Volls- 
mehrheit mache einen schlechten Eindruck. Rußlands unbestimmte Innen- 
politik sei geeignet, dem Finanzkredit Rußlands zu schaden. Nur eine andere 
Zusammensetzung der Regierung könne das Vertrauen in den Ententela#ndern 
wiederherstellen, daß Rußland bereit sei, seine übernommenen Verpflick- 
tungen innezuhalten. Das Blatt bemerkt dazu, diese Erklärungen machten 
einen gewissen Eindruck, Galitzin erwiderte aber, daß er in Anbetracht der 
zwischen der Regierung und der Duma bestehenden Meinungsverschieden. 
heiten über die polit. Lage keine Erklärungen abgeben könne. (S. auch S. 645 f., 
28. Febr. — 2. März. (Duma.) Interpellationsdebatte. 
Bei Erörterung von Interpellationen über Regierungsmaßnahmer 
kommt es zu heftigen Angriffen auf die Regierung; insbesondere bei der 
Interpellation wegen des Vorgehens des Ministers des Innern Protopopown 
gegen die Arbeiterverbände. 
Der Führer der Kadetten Milinkow verurteilt die allgemeine polinische 
Taktik der Regierung, deren Beziehungen zur Duma und zum Reichsrat 
weit entfernt von dem Wohlwollen und der Würde seien, die in dem Erlaß 
des Zaren an den Ministerpräsidenten Galitzin (s. S. 644) gesordert seien. 
Das Schweigen des Ministerpräsidenten am Eröffnungstage sei vielsagender 
gewesen als die langen Reden der frühern Ministerpräsidenten. Die Re- 
gierung habe der Volksvertretung nichts mitzuteilen, was zu einer Zu- 
sammenarbeit zwischen Regierung und Duma führen könne. Hinter der 
Duma ständen indes das ganze russ. Volk und die bürgerlichen Institutionen, 
während die Regierung alleinstehe ebenso wie die frühern Regierungen. 
die bei den bureaukratischen Cliquen Unterstützung suchten. Ans diesem 
Grunde schlügen auch alle Maßnahmen der Regierung fehl, so daß die 
innere Lage Rußlands jetzt verzweifelter sei als je zuvor. Die Duma 
wünsche daher mit der Regierung keinen Frieden zu schließen. Sie müse 
vielmehr den Widerstand der Regierung überwinden. Die Rede des Acker- 
bauministers (s. S. 647) beweise die Untanglichkeit und Unfähigkeit der Re- 
gierung, die Wirtschaftsfragen zu lösen. Die Lage sei ernst, der wahre 
Zustand des Landes solle nicht verschwiegen werden. Sobald die Gefabr 
entstehe, daß die Früchte der ungeheuern Volksopfer durch die Unfähigker 
der Regierung vernichtet werden, werde das Volk sein Schickial in die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.