Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Rnßland. (März 15.) 659 
Absolutismus. Die Arbeiter würden für die soz. Ideale arbeiten. Es seie 
ganz unmöglich, daß es der neuen Regierung gelingen werde, das Ver- 
sorgungsproblem zu lösen, dazu sei es heute bereits zu spät. Er glaube 
nicht daran, daß es der Regierung gelingen werde, auch nur ein Viertel 
der Versprechungen an das Volk einzulösen. Die Hungersnot werde im Mai 
auf den Gipfel gestiegen sein und auch die neue Regierung zbarhertis 
von dem auf schwankender Grundlage errichteten Piedestal hinwegfegen. 
Das einzige Allheilmittel für Rußland sei die Beendigung des Krieges. 
Die Soz. erhalte erst jetzt die Möglichkeit, die Massen straff zu organisieren 
und ihre Kräfte einheitlich zusammenzufassen. 
15. März. Die Prov. Regierung stellt sich dem A.= u. S.-Rat vor. 
Der Minister des Aeußern Miljukow hält eine programmatische 
Rede, in der er ausführt, die Revolution sei deshalb so rasch und un- 
blutig verlaufen, weil die Geschichte keine andre so dumme, so ehrlose, so 
feige und verräterische Regierung kennt, wie die gestürzte. Als wichtigste 
Aufgabe bezeichnet er die Notwendigkeit, den Sieg der Revolution zu 
organisieren, und appelliert an die Einigkeit des Heeres: Ich höre die 
Frage: Wer hat Euch gewählt? Uns hat niemand gewählt, denn hätten 
wir erst auf die Resultate der Volkswahlen gewartet, so hätten wir unserem 
Feinde nicht die Macht entreißen können. Während wir darüber gestritten 
hätten, wer gewählt werden soll, hätte der Feind Zeit gehabt, sich zu 
organisieren und Euch und uns zu besiegen. Uns hat die russ. Revolution 
gewählt. Wir hatten das Glück, daß in einem Augenblicke, wo nicht ge- 
zögert werden durfte, sich eine Handvoll Leute fand, die durch ihre politische 
Vergangenheit dem Volke genügend bekannt war und gegen die auch nicht 
ein Schatten jener Einwendungen erhoben werden kann, unter deren 
Schlägen die alte Regierungsgewalt fiel. Aber wir wissen zu genau, daß 
wir selbst noch vor kurzem die Pflicht der Verantwortlichkeit der Regierung 
gegenüber den Volksvertretern verteidigt haben, und wir werden nicht 
eine Minute länger die Regierungsgewalt ausüben, als bis die freien, vom 
Volke erwählten Vertreter uns sagen werden, daß sie an unserer Stelle 
andere Leute, die ein größeres Vertrauen verdienen, zu sehen wünschen. 
Glauben Sie, m. H., man übernimmt in diesen Tagen nicht die Regierungs- 
gewalt, weil sie lockt. Sie ist keine Auszeichnung und kein Vergnügen, 
sondern ein Verdienst und Opfer. Und sobald man uns sagen wird, daß 
das Bolk dieser Opfer nicht mehr bedarf, werden wir zurücktreten mit 
Dank, daß uns hierzu die Möglichkeit gegeben ist. Wir werden aber diese 
Gewalt jetzt, wo sie notwendig ist, um den Sieg des Volkes zu festigen, 
nicht abtreten, da sie, unseren Händen entglitten, nur unserem Feinde zu- 
gute kommen kann. Auf einen Zwischenruf: Was wird aus der Dynastie? 
antwortet M.: Sie fragen mich nach der Dynastie? Ich weiß, daß meine 
Antwort nicht alle befriedigen wird, aber ich will es doch sagen: Der alte 
Despot, der Rußland zum vollständigen Verfall geführt hat, wird freiwillig 
auf den Thron verzichten oder wird zur Abdankung gezwungen werden. 
Die Regierungsgewalt wird auf den Regenten übergehen, den Großfürsten 
Michael Alexandrowitsch. (Lärm und Beifall.) Thronfolger bleibt der Groß- 
fürst Alexei. (Zwischenrufe: Das ist ja die alte Dynastiel) Ja, m. H., das ist 
die alte Dynastie, welche Sie vielleicht nicht lieben, die vielleicht auch ich 
nicht liebe, aber augenblicklich handelt es sich nicht darum, was ein jeder 
liebt. Wir können die Frage der staatlichen Ordnung nicht ohne Antwort 
und nicht ohne Entscheidung lassen: Wir stellen sie uns vor als eine 
parlamentarische und konstitutionelle Monarchie. Vielleicht haben sich viele 
die Sache anders vorgestellt. Wenn wir jetzt aber darüber streiten werden, 
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