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Audienzen, durch das in die Pose der Wohlinformiertheit gekleidete Ver-
künden neuerlicher Audienzen und wichtiger politischer Ereignisse und andere
üahnliche kleine Kniffe — für ihre Parteiinteressen und selbstsüchtigen Macht-
bestrebungen die Tatsache auszubeuten trachtete, daß Se. Maj. den Führern
der Opposition zur vertraulichen Auseinandersetzung ihrer politischen An-
sichten Gelegenheit zu geben geruht hatte.
17. April. Landsmannminister Dr. Baernreither und Handels-
minister Dr. Urban reichen ihr Entlassungsgesuch ein.
Vorausgeht am 16. ein Ministerrat, der die Voraussetzungen für
die für Mai geplante Einberufung des Reichsrats prüft und be-
schließt, die wiederholt angekündigten innerpolitischen Verordnungen betr.
die Schaffung der Voraussetzungen für einen geregelten Gang der Verhand-
lungen des Abgeordnetenhauses (Geschäftsordnungsreform), betr. die Her-
stellung einer starken Zentralgewalt (deutsche Staatssprache) und betr. die
Beseitigung nationalistischer Streitigkeiten in Böhmen (nation. Kreiseintei-
lung, vorläufig zurückzustellen.
Wie der „Zeit-" von unterrichteter Seite mitgeteilt wird, waren für
die Haltung der Mehrzahl der Kabinettsmitglieder bei diesem Beschlusse
die jüngsten bedeutsamen Ereignisse auf dem Gebiete der internationalen
Politik in erster Reihe entscheidend. Die russ. Friedensunterströmungen, die
Rede des deutschen Reichskanzlers vom 29. März, die Osterbotschaft Kaiser
Wilhelms sowie die Kundgebungen der russ. und die Gegenkundgebungen
der Regierungen der Mittelmächte über die Friedensziele hätten die Friedens-
frage in den Vordergrund der Erörterungen gerückt. Wenn nun in dieser
Zeit der österr. Reichsrat seine Arbeiten wieder aufnehme, so erscheine es
gerechtfertigt, daß er sich der aus dieser Sachlage ihm erwachsenden Ver-
antwortlichkeit voll bewußt bleibe und seine Tagung einen sachlichen und
würdigen Verlauf nehme. Ein solcher Verlauf sei aber nicht sichergestellt,
wenn das Abgeordnetenhaus nicht über eine durch keinerlei Zwangsmittel
beeinträchtigte Entschlußfreiheit verfüge. Es erscheine deshalb nicht an-
gebracht, durch Oktrois sein Selbstbestimmungsrecht einzuengen, vielmehr
werde es sich um so freier und zur ersprießlicheren Lösung befähigter
fühlen, je weniger es vor eine durch Zwangsmittel geschaffene Lage gestellt
werde. Angesichts der internationalen Vorgänge würden sich auch alle Kreise
der Volksvertretung der Einsicht nicht verschließen, daß sich die innere
Politik derzeit den Anforderungen der äußern Polikik unterordnen müsse.
Beide Minister, die als Vertrauensmänner des Deutschen National-
verbandes in das Kabinett Clam-Martinic eingetreten waren, hatten sich aber
dem Nationalverband gegenüber für diese Neuordnung verbürgt. Wenige
Tage vorher erst hatte Handelsminister Urban in einer Versammlung des
Deutschen Nationalverbandes neuerlich bestätigt, daß die dem National-
verband in Aussicht gestellten Bürgschaften vor dem Zusammentritt des
Reichsrats geschaffen werden würden. Ihr Verbleiben im Kabinett ist
durch die Nichteinlösung dieses Versprechens daher unmöglich geworden.
Die Haltung des Ministerrates ruft in den Kreisen der deutschen
Parteien starke Erregung hervor, doch gewinnt in einer Sitzung des
gemeinsamen deutschnationalen und christlichsozialen Voll-
zugsausschusses am 18. die Anschauung die Oberhand, daß bei allem
Bedauern über das Verpassen so vieler Gelegenheiten für die geplante
außerparlamentarische Neuordnung Oesterreichs die deutschen Gruppen im
Interesse der gegenwärtig in den Vordergrund gedrängten Fragen der
allgemeinen Politik sich von ihrer berechtigten Verstimmung darüber nicht
dazu verleiten lassen dürften, eine gegnerische Haltung zum Kabinett Clam
Eurovéischer Geschichtskalender. I.VIII 2. 5