72 Die äs#erreichisch-angerische Monarchie. (April 29.— Mai 1.)
zester Zeit der Allerhöchsten Betrauung Folge leisten und die in Rede
stehenden Vorlagen unterbreiten. Die Vorlagen für die Volkswohlfahrt
werden außer den Maßnahmen für die Invaliden, die Kriegswitwen und
waisen sich auf die Befriedigung der hygienischen und kulturellen Ansprüche
des Volkes und auch darauf beziehen, daß der Grunderwerb möglichst weiten
Volksschichten zugänglich gemacht werde sowie daß die Institutionen der
Arbeiterversicherung reformiert und ergänzt werden. Naturgemäß gesellt
sich hierzu die entsprechende Anerkennung und Ordnung der Rechtsstellung
der Berufsorganisationen der Arbeiter. Außerdem mißt die Regierung be-
sondere Wichtigkeit der entsprechenden Ordnung der Bezüge, des Avancements
und der Lebensverhältnisse der Beamten bei. Bei den in Frage kommenden.
Verfügungen auf dem Gebiete des Wahlrechtes können wir die Tatsache
nicht aus dem Auge verlieren, daß die ung. Legislative vor kaum vier
Jahren eine weitgehende demokratische Wahlreform geschaffen hat, so daß
im gegenwärtigen Augenblicke nur von einer Ergänzung des noch nicht
erprobten Reformwerkes die Rede sein kann. Bei Lösung dieser Ausgabe
müssen wir als Leitfaden den Grundsatz annehmen, daß bei Verleihung
des Wahlrechtes auch diejenigen der Anerkennung teilhaftig werden, die
in der Verteidigung des Vaterlandes sich besonders ausgezeichnet haben.
Auf diesem Gebiete ist bahnbrechend das Wahlrechtsgesetz vom Jahre 1913,
welches allen denjenigen das Stimmrecht verleiht, die während ihrer
Militärdienstzeit Unteroffiziersrang erhalten haben. Infolge des Krieges
sichert schon diese Bestimmung zahlreichen verdienstvollen Staatsbürgern
das Wahlrecht. Von demselben Grundsatz ausgehend, beabsichtigt die Re-
gierung vorzuschlagen, daß die Inhaber der Tapferkeitsmedaille das Wahl-
recht erhalten. Außerdem wünscht die Regierung die Bestimmungen des
Wahlrechtsgesetzes in der Richtung abzuändern, daß den des Lesens und
Schreibens kundigen Staatsbürgern nicht nur ein Steuerzensus von
20 Kronen, sondern auch der Besitz von 8 Joch Ackerland oder eines
Grundbesitzes von gleicher Bedeutung auch das Stimmrecht sichere. Die
Regierung verschließt sich auch nicht der Erwägung anderer Detailfragen,
deren Lösung zweckmäßig die rechtserweiternden Bestimmungen des Wahl-
rechtsgesetzes vom Jahre 1913 ergänzen kann, ohne daß die Grundsätze
dieses Gesetzes erschüttert und die führende politische Stellung der ung.
Intelligenz gefährdet werde.
Das kgl. Handschreiben wird allgemein als ein großer politischer Sieg
des Ministerpräsidenten aufgefaßt.
29. April. Kaiser Karl empfängt den bayer. Ministerpräsidenten
Grafen v. Hertling in besonderer Audienz.
Der Kaiser verleiht ihm den St. Stephansorden.
30. April. Kaiser Karl ernennt Admiral M. Njegovan unter
Belassung in der Stellung als Flottenkommandant zum Marine-
kommandanten und Chef der Marinesektion des Kriegsministeriums.
1. Mai. Kaiser Karl empfängt den türk. Großwesir Talaat
Pascha in besonderer Audienz.
1. Mai. (Wien.) Maifeier.
In den von der soz. Partei einberufenen Versammlungen wird ein
Beschlußantrag zur Friedensfrage angenommen, der die entschlossene
Bereitschaft des arbeitenden Volkes zu einem sofortigen Frieden ohne
Eroberung und ohne Demütigung irgend eines der kriegführenden Länder