Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

76 Die Sfterreichischaungarische Monarchie. „Mai 16.—19.) 
rungsabsichten gegen Rußland hegt, und daß Rußland zu jeder 
Stunde mit Deutschland und ebensogut mit Oesterreich-Ungarn einen ehren- 
vollen Frieden schließen kann. Die teils aus Unkenntnis der Verhälltnisse, teils 
wohl aus böser Absicht in einem Teile der neutralen und feindlichen Presse 
verbreiteten Gerüchte über eine in dieser Frage bestehende Meinungsver- 
schiedenheit zwischen Wien und Berlin werden jetzt grabesstill werden. 
Diejenigen, die gehofft hatten, einen Keil zwischen die Monarchie und das 
Deutsche Reich treiben zu können, werden einsehen müssen, daß dieses Be- 
mühen ein für immer hoffnungsloses bleiben muß, und daß es keine Macht 
der Erde gibt, welche die Monarchie von der Seite ihrer Bundesgenossen 
reißen könnte. Die Waffengenossenschaft zwischen uns und unseren deutschen 
Brüdern ist hoch hinausgewachsen über ein Bündnis, welches zwischen 
Staatsmännern geschlossen, auf papierenen Verträgen beruht. Sie ist ein 
gemeinsames Gut der Völker hüben und drüben geworden. Die Bande, die 
uns mit dem Deutschen Reiche verbinden, werden niemals zu zerreißen sein. 
16. Mai. Tagung des reichsrätlichen Polenklubs. 
In einer Vollversammlung werden folgende Anträge angenommen: 
1. Der Polenklub hat in der jetzigen Situation keine Grundlage zur 
Diskussion und Beschlußfassung in Sachen der Sonderstellung Galiziens. 
2. Der Polenklub huldigt dem Monarchen mit dem Ausdrucke des 
untertänigsten Dankes für die großmütigen Worte, die er am 5. Mai an 
die Delegation des Polenklubs gerichtet hat (s. S. 73) und in welchen die 
aufrichtigste Sympathie für das poln. Volk und das volle Berständnis für 
dessen Gefühle zum Ausdruck kamen. 3. Der Polenklub begrüßt die Ein- 
berufung des Reichsrates für den 30. Mai als Rückkehr zur verfassungs- 
mäßigen Behandlung öffentlicher Angelegenheiten und als erwünschte Wen- 
dung zugunsten der Rechte der Völker. 4. Sowohl in Angelegenheit der 
allgemeinen Politik wie auch in den wichtigen Landesangelegenheiten be- 
gegnete der Klub während der ganzen Dauer des Weltkrieges der Gleich- 
gültigkeit und der Passivität der Regierung. Er hat bisher der gegen- 
wärtigen Regierung gegenüber eine abwartende Stellung eingenommen in 
der Voraussetzung, daß die Regierung eine Aenderung des ganzen seit 
Beginn des Krieges den Polen und dem Lande gegenüber in schädigender 
Weise angewandten Systems durchführen wird. Nachdem bis jetzt trotz 
wiederholt gemachter Versprechungen nichts geschehen ist, im Gegenteil das 
Vorgehen und das Verhalten der Militär- und Zivilbehörden weiterhin 
des Landes Interesse nicht berücksichtigt, das Land direkt zerstört und Ma- 
terial ruiniert und auch an dem System, das Land ohne Mitwirkung der 
Polen zu regieren, festgehalten wird, erklärt der Polenklub, daß er nicht 
in der Lage sein wird, die Regierung zu unterstützen. 
Die letzte Entschließung wurde mit 35 gegen 10 Stimmen angenommen. 
Bereits am 15. hat der Obmann Bilinski seinen Rücktritt vom 
Vorsitz erklärt. In seiner Abschiedsrede sagt er: Wir verteidigten unser 
politisches Programm, das auf eine Vereinigung Galiziens mit dem 
Königreich Polen hinausging, und als dieses Programm ohne unser 
Verschulden fallengelassen wurde, befaßten wir uns mit der Frage der 
Sonderstellung Galiziens, welche aber von uns als ein Mittel aufgefaßt wurde, 
das uns der Verwirklichung unsers nationalen Ideals näherbringen sollte. 
Auch die ukrainische parl. Vertretung beschließt wogen der Haltung 
der Regierung in der Frage der Sonderstellung Galiziens im Parlament 
eine entschiedene Stellung gegen die Regierung einzunehmen. 
17.—19. Mai. Graf Czernin weilt im Deutschen Gr. Haupt- 
quartier. (S. Tl. 1 S.592.)
	        
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