Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

90 Vie öferreichisch-ungarische Monarchie. (Mai 31.—Juni 1.) 
weist Oesterreich die Wege, die es in Zukunft wandeln soll, um nach der 
Prüfung des Krieges ein kräftiger Staat, bewohnt von zufriedenen Bölkern, 
zu werden. Die „Köln. Ztg.“ bezeichnet die Thronrede als eine „der tiefst- 
einschneidenden Urkunden der innerpolitischen Geschichte Oesterreichs“. 
31. Mai. Der Deutsche Nationalverband wählt für Dr. Groß 
den Abg. Dobernig einstimmig zum Obmann. 
31. Mai. Friedensantrag des Polenklubs. 
Der Polenklub beschließt den Abg. Daszynski zu ermächtigen, 
im Einvernehmen mit anderen Parteien folgenden Dringlichkeitsantrag 
im Abgeordnetenhause einzubringen: Zum Schlusse des dritten Jahres des 
Weltkrieges, der Millionen Menschenleben und Krüppel kostete, der alle 
VBölker Europas erschöpft und das Gespenst des Massenhungers herauf- 
beschworen hat, haben endlich beide kämpfenden Parteien das Selbst- 
bestimmungsrecht der Nationen als Grundlage eines dauerhaften 
Friedens anerkannt. Mit allen Staaten und Völkern, die den Frieden auf 
Grund der Verständigung der Nationen wollen, sich solidarisch erklärend, 
fordert das Abgeordnetenhaus die Regierung auf, alles zu unternehmen, 
um einen solchen Frieden in nächster Zeit möglich zu machen. 
1. Juni. Kaiser Karl enthebt den Ministerpräsidenten Grafen 
Clam-Martinic auf Antrag von der Leitung des Ackerbau- 
ministeriums und betraut den Sektionschef Dr. Ernst Ritter von 
Seidler mit der Leitung dieses Ministeriums. 
1. Juni. Kaiser Karl gewährt dem Minister für Galizien 
Ir. Bobrzynski die erbetene Enthebung vom Amte. 
In einem Handschreiben spricht der Kaiser dem Minister für die 
unter schwierigen Verhältnissen mit patriotischer Hingebung entfaltete vor- 
zügliche Tätigkeit seine vollste Anerkennung aus. 
Der Rücktritt des Ministers steht mit der oppositionellen Haltung des 
Polenklubs des Reichsrats in Zusammenhang. 
1. Juni. Errichtung eines Ministeriums für Volksgesundheit 
und soz. Fürsorge. 
Kaiser Karl richtet an den Ministerpräsidenten folgendes Hand- 
schreiben: Lieber Graf Clam-Martinic! Von dem Wunsche geleitet, den 
Einbußen an Volkskraft, die der lange währende Krieg im Gefolge hat, 
nach Möglichkeit zu begegnen und eine Zusammenfassung der von Staat, 
Selbstverwaltung und Gesellschaft in dieser Richtung entfalteten Tätigkei 
zu sichern, habe Ich Mich entschlossen, ein Ministerium für Bolks- 
gesundheit und soziale Fürsorge zu schaffen. In den Wirkungskreis 
dieses Ministeriums werden außer den durch den Krieg unmittelbar hervor- 
gerufenen Ausgaben der Bekämpfung der Kriegsseuchen und der sozialen 
Fürsorge für die Kriegsbeschädigten und die Hinterbliebenen der Gefallenen 
auch jene großen, in untrennbarem Zusammenhange stehenden Angelegen- 
heiten fallen, welche sich auf die Volksgesundheit, die über die Vormund- 
schaftspflege hinausgehende Jugendfürsorge, das Wohnungswesen und die 
Sozialversicherung beziehen. Ich beauftrage Sie, die erserderlichen Ein- 
leitungen zu treffen, den notwendigen Gesetzentwurf vorzubereiten, und ge- 
wärtige die Erstattung Ihrer Vorschläge. 
Laxenburg, am 1. Juni 1917. Karl m. p.
	        
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